Solidarisches Preppen: Zusammenbruch und Zusammenhalt

Die Klimabewegung sucht neue Strategien und orientiert sich an solidarischen Kollapspolitiken. Wie können diese aussehen?

  • Johannes Siegmund
  • Lesedauer: 13 Min.
Kaum Licht am Ende des Tunnels: Besteht die Strategie der Klimabewegung nun darin, sich im sinnbildlichen Bunker einzurichten?
Kaum Licht am Ende des Tunnels: Besteht die Strategie der Klimabewegung nun darin, sich im sinnbildlichen Bunker einzurichten?

Die Klimabewegungen sind geschwächt, die Aktivist*innen oft desillusioniert und erschöpft, wobei viele von ihnen mit zunehmender Härte juristisch verfolgt und zu teils langen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Währenddessen beschleunigt sich die Erderwärmung und die Prognosen laufen auf eine Erhöhung um zwei Grad schon bis 2050 zu, was die Lebensgrundlagen von Milliarden von Menschen bedroht. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren Strategiedebatten in den und um die Klimabewegungen geführt: Solidarische Kollapspolitiken wurden dabei als Antwort auf die Ohnmacht der Klimabewegungen, den globalen Aufstieg der (extremen) Rechten und die sich dadurch einschränkenden Handlungsspielräume für demokratische Klimagerechtigkeitspolitik vorgeschlagen, um die Reste der Klimabewegungen einzusammeln, neu zu organisieren und einen neuen Bewegungszyklus einzuleiten.

Kippen in den Kollaps

Die Beschäftigung mit dem Kollaps hat durch die multiplen Krisen der letzten Jahrzehnte, vor allem aber durch die Klimakrise an Fahrt aufgenommen. Ein Großteil der planetaren Grenzen ist bereits überschritten und entscheidende Kipppunkte des Klimasystems wurden schon erreicht oder werden wohl in den kommenden Jahren fallen. 2024 war das erste Jahr, das oberhalb der Grenze von 1,5 Grad Erwärmung lag. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Klimakrise außer Kontrolle ist, sich die Erwärmung beschleunigt und der sichere Handlungsraum der Menschheit verlassen wurde. Die Klimakrise kippt in den Klimakollaps. Der Krisenbegriff wird als Übergang gedacht, als Ausnahme von der Normalität, also als zeitlich beschränkter und politisch dringlicher Zeitraum. Der Kollaps interpretiert die Krise nicht mehr als zeitlich beschränkten Übergang und als Ausnahmesituation, sondern als Normalität. Wie genau Kollaps definiert werden kann, ist in der Forschung umstritten, da der Begriff für äußerst unterschiedliche Systeme und Zusammenhänge verwendet wird. Er lässt sich aber durch vier Parameter bestimmen: Er ist schnell, langandauernd, geht mit einem substanziellen Verlust an sozio-ökologischem Kapital einher und erzeugt einen Identitätsverlust.

Der Krisenbegriff wird als zeitlich beschränkter und politisch dringlicher Zeitraum gedacht. Der Kollaps interpretiert die Krise nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalität.

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Vom Klimakollaps zu sprechen bedeutet anzuerkennen, dass die multiple Krise in eine lange Phase des gesellschaftlichen Zusammenbruchs kippt. Kollaps bedeutet aber nicht, dass morgen die Welt untergeht. Der Kollaps ist für große Teile der Menschheit nichts Neues. Hunderte Millionen von Menschen haben noch nie innerhalb sicherer Infrastrukturen gelebt und der Kollaps war für sie immer schon grausame Normalität. Ließ sich das lange mit Hilfe optimistischer Wachstumsprognosen, Entwicklungshilfe und Rassismus verdrängen, so drohen diese Zonen des Kollapses sich nun allerdings überall auf der Welt drastisch auszuweiten.

Im Globalen Süden werden in absehbarer Zukunft ganze Regionen aufgegeben werden müssen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser könnte in den nächsten Jahrzehnten nicht nur für Hunderte Millionen, sondern für Milliarden von Menschen zusammenbrechen. Entscheidend ist aber auch, dass sich die Gewalt der Krisen zunehmend schwerer auf den Globalen Süden und auf Minderheiten im Globalen Norden abwälzen lässt. Obwohl die Gewalt der Klimakrise vor allem die Menschen trifft, die nur wenig zu ihr beigetragen haben, kommt ein Teil von ihr, wie ein Boomerang, zurück zu ihrem Ursprung: Der Kollaps wird zunehmend auch im Globalen Norden und in den globalen Mittelschichten durch Pandemie, Naturkatastrophen und andere Krisen erfahrbar. Die sich häufenden Katastrophen könnten ein entscheidendes politisches Feld werden, auf dem sich der politische Streit um Klimagerechtigkeit entfaltet.

Der Kollaps ist das Forschungsfeld einer im Entstehen begriffenen Kollapsologie, einer interdisziplinären Wissenschaft, die in diesem langen Prozess des Zerfalls Orientierung verspricht. Laut Kollapsologie reagieren die Betroffenen in Kollapssituationen meist mit gegenseitiger Hilfe und handeln solidarischer, als sie es in ihrem Alltag tun würden. Ebenso kann es im Kollaps aber auch zu Plünderungen kommen und zur Gewalt durch Betroffene und Exekutivorgane. Solidarische Kollapspolitiken sehen im Kollaps ein Feld für unerwartete Bündnisse und gegenseitige Hilfe und interpretieren den Zusammenbruch als eine Möglichkeit für radikal demokratische Formen von Vergesellschaftung und ihre Politisierung. Direkte Kollapsreaktionen lassen sich demnach auf die prägnante Formel bringen: Gewalt oder Solidarität. Die gegenwärtige Welle faschistischer, extrem rechter Gewalt könnte demnach ebenso als Reaktion auf den beginnenden Kollaps verstanden werden wie die vielen ökologischen, antirassistischen und queerfeministischen Bewegungen, die radikale Solidarität einfordern. Doch was ist mit dieser angerufenen Solidarität genau gemeint?

Hoffnungsschimmer Solidarität

In all den Krisen der letzten Jahre wurde von vielen Seiten Solidarität gefordert und der Begriff so mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen. In Krisen von Parteipolitik und Regierungen angerufen, bedeutete sie oft nicht viel mehr als eine Mischung aus neoliberaler Eigenverantwortung und barmherzigem Mitleid, wenn staatliche Infrastrukturen versagen. Ich möchte Solidarität hier dagegen als eine radikal demokratische Lebensform verstehen, als eine Beziehungsweise, die von unten wächst, auf Gegenseitigkeit gebaut ist und sich den Machtgefällen und Gewaltverhältnissen, die Beziehungen unweigerlich prägen, stellt. Solidarität bedeutet dann, im Kollaps Bündnisse schließen zu können und gemeinsam demokratisch handlungsfähig zu werden.

Eine so verstandene radikale Solidarität darf dabei nicht in zwei Fallen tappen. Sie darf erstens nicht vorschnell universalisieren und so Machtgefälle und Differenzen verdrängen, wie das in barmherzigen und liberalen Verwendungsweisen des Begriffs, der sich dann auf die eine Menschheit beruft, geschehen kann. Sie darf zweitens nicht entlang von Achsen der Gewalt, wie race, Klasse und Geschlecht, exkludieren. Dafür muss sie antirassistische, (queer-)feministische und ökologische Kritiken an exklusiven Solidaritätsbegriffen berücksichtigen. Orientierung bietet hier Kurt Bayertzs etwas martialischer Begriff der Kampfsolidarität, der sich (queer-)feministisch als »zärtliche Streitbarkeit« reformulieren lässt. Eine solche Beziehungsweise der Solidarität beschreibt Bündnisse zwischen allen, die politisch ihre Rechte erstreiten.

Solidarität ist immer aus- und einschließend zugleich und deshalb immer umstritten. Das bedeutet auch, dass Solidarität stets aufs Neue erstritten werden muss. Selbstverständlich lässt sich Solidarität auch institutionalisieren wie in den Solidarsystemen vieler Staaten des Globalen Nordens. Gleichzeitig bleibt immer strittig, wer Teil dieser Solidarsysteme sein darf. Die einen fordern exklusive Solidarität mit dem eigenen Volk, Geschlecht oder der eigenen Nation oder race und damit immer auch Gewalt gegen alle, die als anders gebrandmarkt werden. Die anderen streiten für die Ausweitung der Solidarität über Differenzen und Grenzen hinweg. Solidarität im radikalen Sinn steht demnach für eine Ausweitung demokratischer, und das bedeutet gewaltfreier Formen von Vergesellschaftung.

Auf dieser theoretischen Grundlage lässt sich auch die wichtige Unterscheidung zwischen rechtem und solidarischem Preppen treffen. Hinter dem rechten Preppen stehen Weltbilder, die den Kollaps in Anlehnung an Thomas Hobbes’ Naturzustand als Krieg aller gegen alle interpretieren und folglich mit Gewalt, Bewaffnung, Bunkern und Schutz für sich selbst oder für die Angehörigen der eigenen exklusiven Gruppe reagieren. Häufig fixiert sich rechtes Preppen auf den individuellen Rückzug aufs Land oder in den Wald, auf technische Details, Bewaffnung und das Überleben des Individuums nach einem imaginierten Tag X, an dem die gesellschaftliche Ordnung plötzlich zusammenbrechen könnte. Sicherheit soll beim rechten Preppen durch die Abgrenzung zu anderen gewährleistet werden. Solidarisches Preppen generiert Sicherheit genau gegensätzlich, durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Menschen.

Den Begriff des Preppens so von links neu zu besetzen kann als Provokation verstanden werden, die Irritationen auslöst und einen Raum zum Nachdenken öffnet. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, einen anderen Begriff als Preppen zu verwenden: Schließlich geht es darum, sich nicht individuell, sondern gesellschaftlich auf Kollapssituationen einzustellen – und dafür sind ja auch Feuerwehren, Verbände, Institutionen und staatliche Solidarsysteme entscheidende Kooperationspartner*innen. Solidarisches Preppen würde schließlich in Kooperation mit beispielsweise der Feuerwehr und mit sozialen Institutionen stattfinden.

Was sind solidarische Kollapspolitiken?

Die grundlegende Argumentation des solidarischen Preppens, die Tadzio Müller als wichtigster Vertreter in der deutschen Debatte in seinen Blog-Beiträgen der letzten Jahre ausgearbeitet hat, ist folgende: Situationen des Kollapses werden sich in den nächsten Jahren häufen und mit den fortschreitenden Krisen immer wahrscheinlicher werden. Staatliche Akteure sind im Kollaps überfordert, während sie gleichzeitig von extrem rechten Bewegungen und Parteien untergraben werden und zerstört zu werden drohen. Zentral für den Diskurs ist die Kollapsdiagnose.

Der Begriff des Kollapses ist in den Bewegungen allerdings umstritten. Die Einführung des Kollapsbegriffs machte das relative Scheitern der Klimabewegungen aus den Bewegungen heraus offensiv zum Thema und regte Konflikte innerhalb der Bewegungen an. Kollapsvertreter*innen warfen medienwirksamen Klimaforscher*innen und Aktivist*innen auf Social Media vor, die Tatsachen zu verdrängen und an veralteten und unwirksamen politischen und aktivistischen Strategien festzuhalten. Klimaforscher antworteten und beschrieben den Kollapsdiskurs in Diskussionen auf »X« als eine Apokalyptik, die handlungsunfähig machen und politisch lähmen würde. Diesem Vorwurf des »doomism« wurde wiederum entgegengehalten, das Festhalten an der 1,5-Grad-Grenze und die Hoffnung, durch gute Argumente und rationale Wissenschaft doch noch zu einer Wende in der Klimapolitik zu gelangen, sei eine Verdrängung der Realität und beruhe auf einem falschen Verständnis von Politik.

Politischer Hintergrund des Diskurses über den Kollaps und über solidarisches Preppen ist der globale Aufstieg der (extremen) Rechten in den letzten Jahren. Die bescheidenen Erfolge der Klimabewegungen stehen damit wieder auf dem Spiel. Bereits beschlossene Klimagesetze werden verzögert und der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern immer weiter aufgeschoben. Gleichzeitig wächst der Druck auf Klimaaktivist*innen ebenso wie auf solidarische antirassistische und queerfeministische Bewegungen. Im Kollapsdiskurs wurde deshalb dazu aufgerufen, eine »Klimaantifa« zu gründen, die Antifaschismus und Klimagerechtigkeit verbinden könnte. Gesellschaftlicher und ökologischer Kollaps werden zusammengedacht und als gemeinsames Problem verstanden und adressiert. Die neofaschistische Gewalt gegen Minderheiten und die Gewalt der Klimakrise werden als zwei Seiten einer Medaille beschrieben.

Was solidarisches Preppen genau bedeutet, ist dabei durchaus noch offen. Je nach Kollapsszenarien und spezifischer Krisenanfälligkeit müssten sich die Taktiken des Preppens schließlich lokal und regional unterscheiden. Zentraler Dreh- und Angelpunkt des solidarischen Preppens ist in jedem Fall der Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen und Netzwerken, des Wissens voneinander und der Sorge umeinander, die dann im Kollaps aktiviert werden können. Die Vergesellschaftungsdebatten zielen in eine andere, sehr viel weitergehende Richtung: Hier sollen Infrastrukturen der Massengesellschaft, vom Wohnen über Wasser, Nahrung, Sorge und Gesundheit demokratisiert und solidarisch organisiert werden, wobei sich durchaus an die alten, bereits erkämpften, Solidarinstitutionen anschließen lässt. Der Begriff Preppen verliert hier dann aber wohl seinen Sinn, da dieser stark an Individuen oder Kleingruppen orientiert ist.

Gegenüber staatlichen Institutionen sind die Aktivist*innen des Kollapsdiskurses gespaltener Meinung. Während die Organisation von Kleingruppen eher als anarchistische Graswurzelbewegung konzipiert wird, wurde andererseits auch diskutiert, wie sich konservative Hilfsorganisationen wie das THW oder die Feuerwehr als Verbündete gewinnen lassen könnten. Der Vergesellschaftungsdiskurs ist wiederum weniger anarchistisch und staatskritisch und setzt auf das deutsche Grundgesetz, das eine Möglichkeit zur Vergesellschaftung bereithält, ebenso wie auf basisdemokratische Massenorganisation etwa durch Volksentscheide.

Grenzen der Desastersolidarität

Die Desasterforschung ist sich einig, dass in Kollapssituationen äußerst selten Panik ausbricht. Kooperation und Zusammenarbeit sind die bestimmenden Reaktionen der Betroffenen und Helfenden. In der Schwellensituation der Katastrophe wird eigenes Leid akzeptabler, Machtstrukturen werden ausgehebelt und die Menschen vernetzen sich neu und anders als gewöhnlich. Es entsteht oft ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Doch diese Desastersolidarität funktioniert nicht immer. Gewaltvolle Reaktionen werden durch Armut, Ungleichheit, hohe Kriminalitätsraten, Korruption, soziale Spannungen, fehlendes Vertrauen und fehlende Netzwerke innerhalb einer Gemeinschaft wahrscheinlicher.

In Bezug auf die Klimakrise stößt die Desastersolidarität an zwei weitere Grenzen. Zum einen werden menschengemachte Katastrophen seltener mit Desastersolidarität beantwortet als Naturkatastrophen. Schuldfragen, unklare Bedrohungslagen und Angst können dazu führen, dass kein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Dazu kommt das Problem der Skalierung: Ist eine Katastrophe zu groß, sind lokale Gemeinschaften schnell überfordert. Solidarische Kollapspolitiken mit ihrer lokalen und regionalen Begrenzung stoßen dabei an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Nachbarschaftshilfe ist ein Tropfen auf den heißen Stein des Klimakollaps und mag sich oft hilflos und wenig wirkungsvoll anfühlen.

Auch die Politisierung der Desastersolidarität stößt an Grenzen. Menschen können, selbst wenn das widersprüchlich erscheint, in ihrer Nahwelt solidarisch über Differenzen hinweg agieren und gleichzeitig extrem rechte Parteien wählen. Ebenso können sich zwischen der Schwellensituation des Desasters, der öffentlichen Wahrnehmung, der Parteipolitik und der institutionellen Sedimentierung dieser Politik große Gräben öffnen. Solidarischen Kollapspolitiken müsste es demnach gelingen, die Desastersolidarität zu verstetigen, sie von der zeitlich beschränkten Krise in den dauernden Kollaps zu überführen, sie öffentlich sichtbar zu machen und sie in Parteipolitik und Infrastrukturen zu tragen. Wie sich die Desastersolidarität in der Klimakrise über diese Gräben hinweg politisieren ließe, ist eine offene Frage.

Solidarische Kollapspolitiken können die Gewalt der Verwüstungen abmildern, sie können Resilienz fördern und einen gemeinsamen und demokratischen Umgang mit dem Zusammenbruch basaler Infrastrukturen ermöglichen. Sie bleiben aber räumlich und zeitlich begrenzt und können kaum wirkungsvoll die strukturellen Probleme angehen, die zum Klimakollaps führen. Einzig auf solidarische Kollapspolitiken zu setzen, käme demnach einer vorschnellen Kapitulation gleich. Der Streit um staatliche und institutionelle Antworten auf die Vielfachkrise ist noch nicht entschieden und es wäre fahrlässig, diese Felder demokratischer Auseinandersetzung außer Acht zu lassen oder vorschnell aufzugeben. In Parteien, Öffentlichkeiten und Institutionen bieten sich weiterhin Möglichkeiten und Spielräume für solidarische Politiken.

Kritisch ließe sich zudem einwenden, dass der Diskurs der Klimabewegungen weiß und männlich geprägt ist sowie aus gebildeten Mittelschichtskreisen rund um die Klimabewegungen kommt. Er reagiert auf das Scheitern demokratischer Klimabewegungen und das Einbrechen der Krise in die Mittelschichten des Globalen Nordens. Der Kollaps mag für Teile der Mittel- und Oberschichten im Globalen Norden eine relativ neue Erfahrung sein, für einen Großteil der Menschheit war und ist er immer schon Normalität. Selbst im Globalen Norden kennen viele Menschen mit Armuts-, Flucht-, Kriegs- und Gewalterfahrung den Kollaps nur zu gut und bei genauerer Betrachtung ist der Kollaps selbst im Globalen Norden überall zu finden, in kollabierenden staatlichen Institutionen, in Situationen häuslicher Gewalt, bei Obdachlosigkeit, Armut, Suchterkrankungen, Illegalisierung oder fehlender medizinischer Versorgung.

Solidarische Kollapspolitiken haben ihre Wurzeln demnach in den Umweltbewegungen der Armen und ihrer gegenseitigen Hilfe. Sie wurzeln in all den Bewegungen der Marginalisierten, die immer auch die basalen Infrastrukturen des Überlebens mitorganisiert haben. Klimagerechtigkeitsdebatten greifen deshalb immer schon auf de-, post- und antikoloniale Theorie zu. Hier bieten sich Anschlüsse zwischen Kollapsdiskursen einerseits und Diskursen zu Klimakolonialismus und Klimarassismus andererseits an, indem letztere die Klimakrise als rassistisches, koloniales und imperiales Problem adressieren, das rassifizierte Minderheiten ebenso wie große Teile des Globalen Südens besonders hart trifft. Wie sich diese transnationale Dimension der Klimagerechtigkeit mit den Aufrufen zu lokalem solidarischen Preppen zusammendenken ließe, ist in vielerlei Hinsicht noch offen. Entlang von transnationalen Lebensweisen von Migrant*innen und Flüchtenden könnte es möglich sein, transnationale Prepping-Partnerschaften aufzubauen. Ebenso stellt sich die Frage, wie die Vergesellschaftung von basalen Infrastrukturen diese globalen Dimensionen der Gerechtigkeit berücksichtigen und Vergesellschaftung international konzipieren kann.

Vielleicht kommen die Diskurse und das Experimentieren mit Praktiken solidarischer Kollapspolitiken zu früh, schaffen es nicht aus ihren Nischen und verpuffen. Es ist aber anzunehmen, dass sich solidarische Kollapspolitiken im Globalen Norden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einer weiter eskalierenden Vielfachkrise und der unweigerlich zunehmenden Frequenz von Kollapssituationen verbreiten werden. Gut möglich also, dass aus der Klimakrise, die noch vor wenigen Jahren Klimawandel hieß, in der öffentlichen Wahrnehmung der Klimakollaps wird. Dann könnte sich der Nischendiskurs solidarischer Kollapspolitiken zu einem breiten öffentlichen Diskurs und einem neuen Zyklus der Klimabewegungen entfalten.

Johannes Siegmund ist Kulturwissenschaftler und politischer Theoretiker. Er unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Der Text ist ein gekürzter Abdruck aus PROKLA 219: Sozial-ökologische Bewegungen im Spannungsfeld von Staat und Demokratie, 55. Jahrgang, Heft 2, Juni 2025, Bertz + Fischer, 208 S., 15 €.

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