Zimmerschlacht überm Autofriedhof

Salzburger Festspiele: Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher inszenieren Wolfgang Rihms »Die Eroberung Mexikos«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Zimmerschlacht überm Autofriedhof: Die diesjährigen Salzburger Festspiele begannen mit einem Paukenschlag – Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher inszenierten Wolfgang Rihms Oper »Die Eroberung Mexikos«.

Kann gut sein, dass die Salzburger Festspiele mit dieser Eröffnung mehr Ambition versprechen, als sie in den kommenden Wochen halten können. Der Auftakt in der Felsenreitschule war jedenfalls so fulminant, wie die Namen klingen, die dafür zusammengekommen sind. Da ist zunächst der Komponist Wolfgang Rihm (63). Dessen Konkurrenz um den Thron des bedeutendsten lebenden deutschen Tonsetzers ist nach dem Tod von Hans Werner Henze recht überschaubar. Seine 1992 in Hamburg uraufgeführte »Eroberung von Mexiko« gehört zu der Handvoll wirklich erfolgreichen Opernnovitäten, die auch nachgespielt werden. Rihm hatte in Salzburg schon seinen Programmschwerpunkt und vor fünf Jahren die spektakuläre Uraufführung seines »Dionysos«. Allemal selbst von einer barocker Aura umweht, ließ er es sich nicht nehmen, zum Schlussbeifall aufzutauchen und seinen Teil davon huldvoll entgegenzunehmen. Was schon dadurch gerechtfertigt war, weil er die kühne szenische Interpretation des vom Titel auf einen weltgeschichtlichen Kontext schließenden Werkes durch Peter Konwitschny mit toleranter Offenheit ermutigt hatte. Schön, wenn ein Komponist sich auch mal von seinem eigenen Werk überraschen lässt und nicht den beckmessernden Brecht-Erben spielt.

Wenn Christian Thielemann der Dirigent fürs Festspielhaus in Bayreuth ist, dann ist Ingo Metzmacher der für die Felsenreitschule in Salzburg. Er hat sich diesen ungewöhnlichen Theaterraum, den man wegen der in Stein gehauenen Arkadenkulisse schnell missverstehen und zu leicht nehmen könnte, so anverwandelt, dass er ihn immer wieder auf eine überraschend suggestive Weise auszufüllen vermag. Wenn Metzmacher sich hier auf Werke der Moderne einlässt, dann ist das fürs Publikum ein rein sinnlicher Genuss, wie man ihn moderner Musik oft gar nicht zutraut. Schon das raunende Trommelgewitter, mit dem er den Saal zu Beginn flutet, nimmt die Zuschauer gefangen. Ein Entkommen aus diesem Raum gewordenen Klang gibt es dann nur in der eigentlich überflüssigen Pause.

Der Azteke Montezuma und der Spanier Cortez sind schon bei Rihm und in der von ihm verdichteten Vorlage von Antonin Artaud nur ein surreal assoziativer Bezugsrahmen. Konwitschny macht damit genau das, womit er einst berühmt wurde: er durchleuchtet die Vorlage und entstellt sie zur Kenntlichkeit. Mit dem analytischen Spürsinn des Dialektikers und dem perfekt sitzenden Handwerk eines Regisseurs, dessen szenische Phantasie im Einzelnen durch die Musik beflügelt wird, erobert er im Gleichklang mit Metzmacher den Raum.

So schwebt denn über dem Autoschrottplatz, mit dem Ausstatter Johannes Leiacker die ganze Breitbandbühne gefüllt hat, ein helles modernes Wohnzimmer. Mit Frida Kahlo Bild über dem Sofa. Hier erwartet eine attraktive Frau (perfekt: Angela Denoke) einen Mann mit Rosenstrauß und ernsten Absichten. Das Objekt der europäischen Eroberungsbegierde ist bei Rihm eine Sopranistin. Der Mann an der Tür ist ein charismatischer Bariton (Bo Skovhus), der den Macho nicht allzu lange zügeln kann, über sie herfällt, bald mit dem Angeber-Cabrio vorfährt und seine männlichen Kumpanen vom Zuschauerraum aus die Bühne stürmen und eine wüste Orgie veranstalten lässt.

Mit szenischem Witz wird nach der Pause der Triumph des Virtuellen kommentiert. Auf dem Wohnzimmersofa wird kein Kind, sondern eine Kollektion von Smartphones, iPads und Laptops auf die Welt gebracht und die Videokünstler von »fettfilm« lassen in jede private Ritze kriechenden Apps und War-Games über die Wände flimmern. Der ins Spiel vertiefte Mann merkt dabei nicht mal, dass die Gestalt neben ihm auf dem Sofa nur noch die leere Hülle seiner Frau ist. So lange die Welt so tickt wie sie es unterm Regime des Patriarchats gewohnt ist, kann es nichts Rechtes werden mit den Männern und Frauen, soll das wohl heißen. Dabei können wir noch froh sein, dass Rihm in Richtung metaphorisches Mexiko und Konwitschny auf den Grund der Dinge geblickt haben. Das ist schon traurig. Der reale Blick in Richtung des europäischen Südostens wäre der blanke Horror.

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