Kohle vom Donbass für die Ukraine

In Makejewka wird auch für die Zentralukraine gefördert - doch Kumpel Sergej sieht keinen Weg zurück

  • Ulrich Heyden, Makejewka
  • Lesedauer: 7 Min.
Während der Bürgerkrieg im Osten des Landes kein Ende findet, importiert die Zentralukraine auf verschlungenen Wegen Steinkohle aus Donezk und Lugansk.

»Aufhören«, schreit Sergej Anatoljewitsch. Nun sind die Presslufthämmer still, wir können uns unterhalten. Wir befinden uns in 750 Meter Tiefe im Schacht Cholodnaja Balka (Kalte Schlucht). Das Bergwerk des staatlichen Unternehmens Makejewugol befindet sich zwanzig Autominuten östlich von Donezk im Gebiet der nahen Stadt Makejewka.

Um zu dem im März neu erschlossenen Flöz zu kommen, brauchen wir eine geschlagene Stunde. Mit einem Aufzug, einem Sessellift und einem langen Fußmarsch geht es in nur schwach beleuchteten Stollen immer weiter nach unten.

Schichtführer Sergej Anatoljewitsch hat 240 Mann unter sich. Er verdient umgerechnet 520 Euro im Monat. Schon sein Vater habe in diesem Schacht gearbeitet, erzählt Sergej, auf den daheim eine Frau und zwei Kinder warten.

Wie es mit der »Volksrepublik Donezk« (DNR) weiter geht? »Ich wurde in einem großen Land geboren, der Sowjetunion. Und ich träume davon, wieder in einem großen Land mit verschiedenen Republiken zu leben«, sagt der Schichtleiter. Er sagt das ohne zu Zögern mit einem Lächeln. Als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Putin könne den Donbass »zur Zeit« nicht aufnehmen. Dafür hat Sergej Verständnis.

Zehn Bergarbeiter seiner Abteilung hätten sich als Freiwillige zur Front abgemeldet, erzählt der Schichtleiter. Von der Maidan-Revolte in Kiew habe er nie etwas gehalten. Er selbst habe in Donezk gegen den Maidan demonstriert. Immer wieder hört man in der DNR von einfachen Leuten diese Meinung: »Während wir arbeiteten, haben die in Kiew demonstriert.« Der Donbass war wirtschaftlich auch nach der Auflösung der Sowjetunion mit Russland verbunden. Deshalb versprachen sich die Ostukrainer von einer EU-Assoziation nichts.

Den Konflikt mit der Ukraine könne man nur mit Gesprächen lösen, meint Sergej. Aber eine Wiedervereinigung der »Volksrepublik« mit der Ukraine hält er nicht mehr für möglich. »Das ist unumkehrbar.«

Über die Lohnrückstände redet der Schichtleiter nicht. Die Kumpel bekommen offiziell umgerechnet rund 300 Euro monatlich. Ende Juni hieß es, die Bergarbeiter hätten für die ersten drei Monate dieses Jahres 70 Prozent ihres Lohnes erhalten. Es gibt also weiterhin erhebliche Lohnrückstände.

Doch dass im Kriegsgebiet überhaupt Löhne gezahlt werden, ist absolut nicht selbstverständlich. Viele Fabriken sind beschädigt und stehen still. Nicht wenige Menschen leben von den Renten ihrer Großeltern. Die müssen das Geld sogar noch in dem von Kiew kontrollierten Gebiet abholen, weil die Zentralmacht in die Ostukraine nichts mehr überweist.

Offiziell hat die Regierung in Kiew im Dezember 2014 gegen die »Volksrepubliken« eine Wirtschaftsblockade verhängt. Die Geldautomaten in den Gebieten Donezk und Lugansk sind seitdem außer Betrieb. Das Bergwerk »Kalte Schlucht« hat große Probleme, Ersatzteile - wie Akkumulatoren - für die Grubenlampen aus der Ukraine zu beziehen. Wegen dieses Mangels müssen jetzt oft schon zwei Bergleute im Schein einer Lampe arbeiten, erzählt uns ein Kumpel, der uns durch den Schacht führt. An der Demarkationslinie müssten an die ukrainische Nationalgardisten für dringend benötigte Ersatzeile bis zu 1000 Dollar Schmiergeld gezahlt werden, berichtet Sergej Anatoljewitsch.

Doch das dramatische Kohle-Defizit der Ukraine zwingt die Regierung in Kiew trotz aller Sieges-Rhetorik gegenüber dem »russischen Aggressor« zum Kompromiss. Die Kohle aus Südafrika und Australien, die die Ukraine im letzten Jahr bezog, ist sehr teuer. Deshalb erklärte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Dezember 2014, man werde Kohle in den »von Russland okkupierten Gebieten«, wie es in Kiew offiziell heißt, unter der Bedingung kaufen, dass die Bergarbeiter in Donezk und Lugansk »den Gewinn bekommen«. Kontrollieren kann Poroschenko das natürlich nicht. Aber irgendwie muss der Präsident ja begründen, warum er »vom Feind« Kohle kauft.

Um die Wirtschaftsblockade zu umgehen, werden verschiedene Tricks angewandt, wie das Moskauer Wirtschaftsmagazin »Dengi« berichtet. Ein Teil der Kohle aus den »Volksrepubliken« wird zunächst nach Russland und von dort in die Ukraine transportiert. Der ukrainische Energie-Minister Wladimir Demtschischin behauptet zudem, man beziehe aus den von Aufständischen kontrollierten Gebieten nur Kohle von Bergwerken, die Steuern in der Ukraine zahlen. Auch das klingt mehr nach einer Schutzbehauptung, um den Import »vom Feind« zu ermöglichen.

Wege zur Umgehung der Wirtschaftsblockade gibt es also. Wie Ruslan Dubowskich, Kohle- und Energie-Minister der DNR, gegenüber »Dengi« erklärte, wird die Hälfte der in der »Volksrepublik« geförderten Kohle in die Ukraine geliefert. Allein von März bis Juni 2015 waren es laut der Donezker Nachrichtenagentur DAN eine halbe Million Tonnen.

Führend am Export aus dem Konfliktgebiet beteiligt ist der Oligarch Rinat Achmetow, der nach wie vor reichste Mann der Ukraine. Ihm gehören in der Stadt Mariupol und an anderen Orten der Ukraine zahlreiche Kohleschächte und Stahlwerke. Nach Medienberichten hat Achmetow mit den »Volksrepubliken« eine Abmachung getroffen. Danach werden seine Unternehmen in Donezk und Lugansk nicht nationalisiert. Dafür liefert der Oligarch über eine Stiftung an die Rentner in der »Volksrepublik Donezk« monatlich Lebensmittel, die eine lange Zeit haltbar sind.

Dass die Bergwerke im Donbass immer von staatlichen Subventionen abhängig waren, bestreitet Vera Laschenko, Pressesprecherin des Bergwerkunternehmens Makejewugol, nicht. Das Thema wurde von den Medien in Kiew ausgeschlachtet, um die ökonomische Rückständigkeit der Ostukraine zu »beweisen«. Die Realität, so Vera, sei jedoch eine etwas andere. »Sehen Sie: Ich habe meine teuren Ringe an der linken und die nicht so teuren an der rechten Hand.«

So wie ihre Hände zu ihrem Körper, gehörten die Industriebetriebe im Donbass zu einer Produktionskette. Die Bergwerke waren immer von Subventionen des Staates abhängig. Aber die von ihnen gelieferte Kokskohle war ein unverzichtbarer Rohstoff für die Stahlproduktion, mit denen ukrainische Oligarchen sich auf dem Weltmarkt ihre goldene Nase verdienten.

Die staatlichen Kohlebergwerke der Stadt Makejewka sind technisch veraltet. Deshalb habe sich kein Investor gefunden, diese Unternehmen zu übernehmen, berichtet Vera. Die Investoren hätten sich bei der Privatisierung des Bergbaus »nur die Filetstücke« rausgepickt, »in die sie nicht so viel Geld reinstecken mussten«.

Das Unternehmen Makejewugol hatte früher 40 000 Bergarbeiter in 30 Schächten. Heute sind es noch 14 000 Beschäftigte in neun Schächten. Von denen arbeiten wegen des Krieges aber nur sechs. Die geförderte Kohle wird sowohl an Elektrizitätswerke sowie weiterverarbeitet als Koks an Stahlwerke in und außerhalb der »Volksrepublik« geliefert.

Viele junge Eltern sind mit ihren Kindern weggefahren. Vera Laschenko blieb mit ihrem Sohn und vier Enkeln in der Stadt. Sie hofft, dass es Frieden gibt. Vera bestreitet, dass die Menschen beim Referendum im Mai 2014 für den Anschluss an Russland stimmten. »Wir stimmten für eine Autonomie in der Ukraine.«

Als wir wieder oben »auf der Erde« sind, fragt uns ein Betreuer, wie wir uns fühlen. »Wie neugeboren«, platze ich heraus. Der Betreuer, ein Angestellter aus der Finanzverwaltung mit Bäuchlein, stellt uns ein Altbier der örtlichen Brauerei hin. Es schmeckt so gut, wie das erste Bier nach 100 Jahren.

Ausruhen können wir uns nicht. Wir werden zum Büfett gerufen. Die Chefbuchhalterin feiert ein Jubiläum und wir sind herzlich eingeladen. Wir sitzen an einem langen, reichlich mit Vor- und Hauptspeisen gedeckten Tisch. Wodka wird ständig nachgeschenkt. Beim Essen komme ich mit einer Angestellten ins Gespräch, die für die vier Kinderheime des Bergwerks zuständig ist. Sie erzählt, dass sich zwei der Kinderheime nicht weit von Mariupol im Frontgebiet befinden. Deshalb können die Kinder der Bergarbeiter in diesem Jahr keinen Urlaub am Asowschen Meer machen.

Die Stimmung ist ausgelassen. Es wird getanzt. Die Angestellten singen alte Lieder der Bergarbeiter und des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol. Doch als ich ein Erinnerungsfoto von allen machen will, schaut eine jüngere Buchhalterin, die aus der Region Mariupol angereist ist, nur nach unten. Ihre Verwandten wohnen in der Ukraine, sagt sie später. Sie wolle nicht erkannt werden. Die Angst, in den Strudel der Ereignisses gezogen zu werden, ist weit verbreitet.

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