Container sollen Zelte ersetzen

Sächsische Behörden sind überfordert Innenausschuss mit Sondersitzung

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Den ersten Frost, sagt Sachsens Innenminister, sollen Flüchtlinge im Freistaat nicht mehr in Zelten ertragen müssen. Ob das gelingt, ist angesichts der Zahlen fraglich.

Bei Temperaturen unter null Grad in einem Zelt leben zu müssen, ist keine angenehme Vorstellung. Die Unterkünfte in der Bremer Straße in Dresden, in denen 1026 Flüchtlinge aus über 20 Ländern untergebracht sind, haben zwar doppelte Wände. Dauerhaft können sie aber nicht als Unterkunft dienen, räumt Markus Ulbig, Innenminister des Freistaats, ein: »Das ist nur eine Übergangslösung«, sagte der CDU-Politiker, der das seit über einer Woche bestehende Camp nach dem Urlaub nun erstmals besuchte. Er kündigte an, alle Flüchtlinge sollten zum ersten Frost »feste Dächer über den Köpfen« haben. Um das zu erreichen, könnte ein Teil der Zelte in Dresden und anderswo im Freistaat schrittweise auch durch Container ersetzt werden.

Die Ankündigung sorgt beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das für die Betreibung des Dresdner Camps zuständig ist, nur bedingt für Erleichterung. Sorgen bereitet den Verantwortlichen derzeit nicht das Wetter im Oktober, sondern das der nächsten Tage: »Zelte sind leichter gegen Kälte als gegen Wärme zu schützen«, sagt DRK-Landeschef Rüdiger Unger, dem die aufopferungsvolle Arbeit der vergangenen Tage anzusehen ist. Die Hilfsorganisation ist nicht glücklich mit dem Camp. »Zelte sind keine Lösung«, sagt Unger, fügt jedoch hinzu: »Kein Dach über dem Kopf ist auch keine Lösung.«

Trotz der Bemühungen des DRK und vieler ehrenamtlicher Helfer sind die Zustände im Camp schwierig. »Eigentlich geht das gar nicht«, sagt Juliane Nagel, Innenpolitikerin der LINKEN. Flüchtlinge beklagten schlechte Verpflegung und Mangel an Sanitäreinrichtungen. Für die ärztliche Erstuntersuchung müssen sie zudem jeweils zur Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz gefahren werden. Ulbig avisiert jetzt Verbesserungen. Container mit Duschen und Toiletten seien bereits aufgestellt; nun solle eine »Medizinstrecke« errichtet werden, um die ärztliche Betreuung im Camp zu ermöglichen. Vom Bund forderte der Minister, bald eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einzurichten, um Asylanträge am Ort bearbeiten zu können: »Das würde einiges erleichtern.« Wenig Hoffnung gibt es auf eine Trennung von Flüchtlingsgruppen. Am Wochenende kam es unter den beengten Verhältnissen zu Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und Syrern. Ein 18-jähriger Afghane wurde am Sonntagabend vor der Zeltstadt von bisher Unbekannten so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus musste. Die Polizei vermutete die Angreifer unter den Bewohnern des Camps.

Eine »Entzerrung« sei aber nur absehbar, wenn man wie geplant neue Unterkünfte in Betrieb nehmen könne, sagte Ulbig. Ob diese die Lage tatsächlich entspannen, steht zu bezweifeln. Ulbig listete zwar auf: zwei Turnhallen der TU Dresden, in denen diese Woche 600 Menschen unterkommen; eine neue Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig mit 400 Plätzen; das Wohnheim einer Fachschule in Meißen, das für Flüchtlinge geräumt wird. Gleichzeitig räumen Ulbig und seine Mitarbeiter aber ein, dass sie Getriebene der derzeitigen Entwicklung sind. Das Camp in Dresden habe kurzfristig errichtet werden müssen, nachdem vom BAMF »die Ansage kam, es kommen Tausend, und dann kamen noch einmal Tausend«, sagt Ulbig. Auch Dietrich Gökelmann, der Chef der Landesdirektion Sachsen, räumt ein, dass Planungszahlen meist innerhalb von Tagen zu Makulatur werden. Im Juli seien 4077 Flüchtlinge nach Sachsen gekommen; im gesamten Vorjahr waren es 12 500. Gökelmann spricht von einer »Welle, die uns regelrecht überrollt«. Derzeit treffen 200 bis 300 Asylbewerber pro Tag in Sachsen ein. Eine Unterkunft wie die neue Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig wäre so binnen zwei Tagen voll belegt.

Über das weitere Vorgehen soll nun am Donnerstag der Innenausschuss in einer Sondersitzung beraten. Vorsitzender Mario Pecher (SPD) sagte, es müsse »jeder Mensch, der nach Sachsen kommt, menschenwürdig untergebracht werden«. Nach dem Besuch im Camp gemeinsam mit Ulbig forderte der Politiker des kleinen Koalitionspartners die sächsischen Behörden zur Schaffung einer »geregelten Situation, die uns solche Termine erspart«. Die LINKE-Abgeordnete Nagel erneuerte ihre Forderung an den Freistaat, endlich »langfristige Planungen« für die Unterbringung der Flüchtlinge zu erarbeiten. Nagel regte an, dafür auf Liegenschaften der Bundeswehr, aber auch von Gewerkschaften, Kirchen und anderen Institutionen zurückzugreifen: »Man muss das Thema endlich als Aufgabe der gesamten Gesellschaft begreifen und nicht nur von überforderten Mitarbeitern im Ministerium«, sagte sie.

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