»Ich habe Angst vor dem Meer. Große Angst«

Kobane Libre: Fabian Köhler über das Leben eines syrischen Flüchtlings und seine lebensgefährlichen Pläne. Teil 5 der Serie

  • Lesedauer: 5 Min.
Der syrische Flüchtling Mihemmed erzählte Fabian Köhler seine Geschichte.
Der syrische Flüchtling Mihemmed erzählte Fabian Köhler seine Geschichte.

Wenn alles nach Plan verläuft, werden Mihemed und ich am selben Tag die Türkei verlassen. Mein Plan beinhaltet, mich in Istanbul in ein Flugzeug zu setzen und es in Berlin wieder zu verlassen. Seiner besteht daraus, sich in Istanbul mit einem Fluchthelfer zu treffen. Nachts wird er versuchen, sich an türkischen Soldaten vorbeizuschmuggeln. Wahrscheinlich nicht nur einmal. Er wird in ein altes Boot steigen, das nicht dafür gemacht ist, übers Mittelmeer zu fahren. Die Fahrt durch Osteuropa, wird er, wenn alles gut geht, im Laderaum eines LKW verbringen. Mein Plan kostet etwas über 200 Euro. Seiner etwas unter 5000. Ich werde nach zweieinhalb Stunden ankommen, Mihemed vielleicht nie.

Kobane Libre

Es war einmal ein unbedeutendes Kaff im Norden von Syriens und es wurde zur Vision eines demokratischen Nahen Ostens. nd-Autor Fabian Köhler sucht in dieser Serie nach Kobane. Zwischen Tonnen von Trümmern und unter Tonnen von Klischees.

Teil 1: Hinterm Bordstein geht die Sonne auf

Teil 2: Spielzeug erinnert an »den Tag«

Teil 3: Warmland

Teil 4: Brennt da Kobane?

Teil 5: »Ich habe Angst vor dem Meer. Große Angst«

Teil 6: Lost in Prokrastination

Teil 7:  Mitten in der Linsensuppe

Die Straßen von Suruc sind voll mit Schicksalen wie jenen von Mihemed. Als ich ihn gestern zufällig auf der Straße traf und wir begannen, über unsere Leben zu sprechen, hatte ich nicht vor, das zu Papier zu bringen. Nicht aus Zurückhaltung oder Pietät. Der Gedanke, der mir in den Kopf kam, war eher etwas zwischen »Kennst du schon«, »Nicht krass genug« und »Ach lass mal einfach Wasserpfeife rauchen«. Mihemed fragte mich schließlich, ob ich nicht aufschreiben könne, was er zu sagen habe. Das ist seine Geschichte:

Es gibt viele Gründe, warum ich hier weg will: In Syrien kann ich mich kaum bewegen. Ich kann mein Studium nicht zu Ende bringen. Die Armee würde mich sofort einziehen, wenn ich nach Aleppo, Homs oder Damaskus reise. Studiert habe ich in Latakia, eine der letzten Hochburgen von Assad, dorthin kann ich nicht mehr zurück. Und vielleicht würde Daesh (im Arabischen gebräuchlich für den Islamischen Staat) mich töten. Und in der Türkei? Ich spreche die Sprache hier nicht und es gibt keine Kurse. Aber vor allem kann ich meine Familie hier nicht ernähren. Wenn nur einer Arbeit hat, geht das nicht. In Europa geht das.

Ja. Ich habe Angst vor der Reise nach Europa. Ich habe Angst vor dem Meer. Große Angst. Zwei meiner Freunde sind im Meer ertrunken. Ich habe Angst vor der Polizei in Ungarn, dass sie dort meine Fingerabdrücke nehmen. Ich habe Angst, von Kriminellen ausgeraubt zu werden. Weiß du, es ist ein langer Weg. Da kann so viel passieren. Vor zwei Monaten wurde ein Freund von mir bei seiner Flucht nach Serbien überfahren. Ich will morgen noch heiraten, ich habe gehört, dass man es einfacher bei den Behörden hat, wenn man verheiratet ist.

Wie das Leben in Kobane war? Es gab eigentlich drei Kobane. Das, bevor der Krieg begann. Das danach. Und das, als Daesh kam. Bevor Bashar al-Asssad an die Macht kam, durften wir nichts. Wir durften nicht Kurdisch sprechen, nicht in der Schule, nicht in der Uni, auch nicht auf der Straße.

Die Polizei hat mich einmal mitgenommen als ich meinen Bachelor machte. Sie sagten, ich hätte mich für die Unabhängigkeit der Kurden eingesetzt. Das sagten sie immer, wenn sie einen von uns mitnahmen. Sie haben mir die Augen verbunden, mich angeschrien, dass meine Schwester eine Fotze, meine Mutter eine Hure sei. Und dann haben sie mir Elektroden an die Finger und Eier geklemmt und mich mit Stromschlägen gefoltert.

Für uns Kurden war das normal. Als Assad Jr. an die Macht kam, hat er versprochen, vieles zu verbessern. Wir sollten Strom bekommen, Internet, solche Sachen. Weißt du, 20 Kilometer von Kobane fließt ein Fluss. Aber in Kobane haben wir kein Wasser. Ich habe eigentlich nie daran geglaubt, dass sich mit Assad jr. etwas ändern wird.

Als 2011 die Proteste begannen, habe ich an die Revolution geglaubt. Auch in Kobane gingen die Leute auf die Straße, weil sie Assad loswerden wollten. Nach rund sechs Monaten rückte dann die Armee in die Städte ein: Homs, Idlib, Darra usw., du kennst das ja. Nur zu uns kamen sie nicht.

Das Leben in der Zeit war viel besser, wir gründeten unsere eigene Regierung. Wir hatten Wasser, stellten Stromgeneratoren auf. Zum Telefonieren benutzten wir das türkische Telefonnetz. Immer mehr Menschen kamen nach Kobane, sie flüchteten aus Homs, Hassaka, Raqqa, von über all dort, wo der Krieg hinkam. Tausende. Nein, es gab nie Probleme zwischen ihnen und uns. Es spielte keine Rolle, ob jemand Araber oder Kurde war.

Ich bin schon in die Türkei geflüchtet, bevor Daesh kam. Aber meine Familie war noch da. Als Daesh kam, hielten die Türken die Grenze geschlossen. Jeder flüchtete an den Grenzübergang, aber die Türkei machte lange das Tor nicht auf. Irgendwann ließen sie sie dann doch rein. Aber da waren schon viele tot.

Die türkische Regierung mag uns Kurden einfach nicht, egal ob wir in Syrien oder der Türkei leben. Weiß du, gestern sollten 13 Märtyrer von Kobane nach Suruc gebracht werden. Nicht einmal das haben sie erlaubt. Den Frieden mit der PKK haben sie beendet, weil die PKK uns half und wir ihnen. Sie haben Angst vor einer kurdischen Regierung an ihrer Grenze. Deshalb unterstützen sie Daesh. Jeder weiß, wie einfach die Daesh-Kämpfer über die Grenze in die Türkei kommen. Manchmal schalten sie die Grenzanlagen ab und die Kämpfer gehen einfach hinüber. Aber uns lassen sie nicht. Niemand lässt uns.

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