Im Mittelpunkt der Mensch

Das Museum The Kennedys zeigt Vietnam-Bilder des Fotoreporters Thomas Billhardt

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Seine Fotografien aus dem Vietnamkrieg sind weltberühmt. Weniger bekannt ist Thomas Billhardts DDR-Biografie. Eine Ausstellung im Berliner Museum The Kennedys bringt beides in einen Zusammenhang.

Seine Fotografien aus dem Vietnam-Krieg gingen um die Welt. Einige erlangten regelrechten Kultstatus: das verzweifelt weinende kleine Mädchen mit dem noch kleineren Bruder auf dem Rücken zum Beispiel oder das Hand in Hand spazierende vietnamesische Liebespaar mit den umgehängten Gewehren. Doch viele wissen nicht, dass der Fotograf, der diese weltberühmten Aufnahmen gemacht hat, aus der DDR stammt. Das Museum The Kennedys hat Thomas Billhardts Vietnam-Fotos nun eine eigene Ausstellung gewidmet.

Sein Handwerk hat der diplomierte Fotojournalist von der Pike auf gelernt. Erst bei seiner Mutter, einer bekannten Porträtfotografin, dann an der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg. Erste Erfahrungen sammelte der gebürtige Chemnitzer als Werksfotograf im Braunkohlentagebau und bei einem Postkartenverlag, studierte dann von 1959 bis 1963 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Für den Beruf des Fotoreporters hatte er sich bereits 1961 entschieden, als er auf einer Reise ins revolutionäre Kuba wie im Rausch auf den Auslöser drückte.

Das große Vorbild des heute 78-Jährigen ist Kriegsberichterstatter Robert Capa, dessen Leitsatz »Wenn ein Foto nicht gut ist, warst du nicht nahe genug dran« auch Billhardts Motto wurde. »Ich habe Freude und Leid der Menschen geteilt, wo auch immer ich war«, hat Thomas Billhardt einmal gesagt, und eben diese Empathie für jedes menschliche Wesen macht seine Fotografien zu etwas Besonderem. Ob die Schwarz-weiß-Aufnahmen einer Gruppe um eine Flugabwehrrakete gescharter Vietkong in Dong Hoi, die sich mit Kartenspiel und Zeitungslektüre die Pause vertreiben, oder eines Mannes auf einem Krankenlager - immer teilt sich dem Betrachter die Stimmung mit, wird er für einen Moment in diese Zeit, an diesen Ort versetzt.

Umso ergreifender wirken die Aufnahmen von den schrecklichen Folgen des Vietnam-Krieges im zweiten Raum: verzweifelte und resignierte Menschen inmitten zerbombter Häuser und rauchender Trümmer 1972 in Hong Gai; Männer und Frauen mit Kopfverbänden auf ärmlichen Krankenlagern; eine ganz in Weiß, die asiatische Farbe der Trauer, gekleidete Mutter, die mit Tränen in den Augen ihrem toten Kind ein letztes Mal über den Kopf streicht. Und immer wieder Kinder - schüchtern hinter einem Holzgestell hervorlugend, fröhlich auf Ochsen reitend oder scheu an die Hand des Vaters geschmiegt wie die damals dreijährige Hong Li, die in ihrem rotem Mäntelchen großäugig in die Kamera schaut. Sie ist eine von denen, die Thomas Billhardt mehr als 25 Jahre später besuchte, als er auf der Suche nach den damals fotografierten Personen erneut durch Vietnam reiste. Hong Li, heute Souvenirverkäuferin in Hanoi, beneidet manchmal ihr Foto: »Mein Bild geht um die Welt - ich kann mir das nicht leisten.«

Auch den Protagonisten eines seiner berühmtesten, wenn auch umstrittensten Bilder traf der Fotograf Jahrzehnte später erneut: Major Dewey Waddell von der US-Air Force. Auf den Aufnahmen von 1967 sieht man den großen, schlanken Mann mit dem Bürstenhaarschnitt, wie er von einer zierlichen Vietnamesin mit vorgehaltenem Gewehr abgeführt wird. Der Vorwurf im Nachhinein: Das Bild sei gestellt gewesen. Thomas Billhardt beteuert, nichts davon gewusst zu haben. Nach der Wende trafen sich Fotograf und Pilot in Brandenburg - der Beginn einer Freundschaft.

Der Ausstellungsbesucher erfährt davon aus einem Schaukasten im ersten der beiden Billhardt gewidmeten Räume, darin Zeitungsartikel und kurze Infos. Letztere fallen leider spärlich aus - mehr Hintergrundinformationen zu den Fotos, zur medialen Ausschlachtung ebenso wie zu ihrer Entstehung, wären wünschenswert gewesen. Dass der Vietnam-Krieg der erste Krieg war, in dem die Bilder der Medien maßgeblich zur öffentlichen Meinung beitrugen zum Beispiel. Oder dass die SED mit Billhardts Aufnahmen, die in DDR-Presseorganen und großen westlichen Magazinen veröffentlich wurden, Sympathiepunkte für den Sozialismus sammelte. Billhardts realitätsnahe Fotoreportagen wurden Teil eines Bilderkrieges gegen die USA in diesem David-gegen-Goliath-Kampf.

Doch dem weit gereisten und mehrfach preisgekrönten Kriegsberichterstatter ging es nie nur um Fotos, sondern um die Menschen - gerade um die Kinder. Den Traum, mit seinen Bildern die Welt zu verändern, hat er längst aufgegeben, doch seine Sorge gilt den Jüngsten und Schwächsten überall auf der Welt: Seit vielen Jahren stellt Billhardt sein Talent in die Dienste von UNICEF.

Thomas Billhardt: Vietnam, bis 6. September, Di-So 11-19 Uhr. Museum The Kennedys, Auguststr. 11-13, Mitte.

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