Heiß gelaufen

AKW-Kühlwasser erhitzt die Flüsse – mit Folgen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Wochenlange Hitze macht nicht nur Mensch, Tier und Pflanzen zu schaffen - auch Industrieanlagen leiden unter temperaturbedingten Schwierigkeiten. AKW müssen teils abgeschaltet werden.

In der Diskussion um die Energiewende und die Restlaufzeiten für AKW argumentieren die Kernkraftfreunde oft damit, dass die Reaktoren unabhängig vom Wetter seien. Als sogenannte Grundlastkraftwerke garantierten sie eine stetige Stromproduktion, weil ihr Betrieb - anders als der von Windrädern oder Sonnenzellen - nicht von der gerade herrschenden Witterung abhänge. Die Hitzewelle der vergangenen Wochen zeigt aber, dass auch die großen Atomkraftwerke nicht wetterfest sind.

Anfang Juli stand das Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen nach Angaben von Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne) vor einer Abschaltung. Es bezieht sein Kühlwasser aus der Weser und leitet erwärmtes Wasser zurück in den Fluss. Messungen ergaben, dass die Wassertemperatur im Bereich des Kraftwerks nur noch um 1,8 Grad Celsius unter dem Grenzwert von 28 Grad Celsius lag. »Gemessene 26,2 Grad - das war schon eine kritische Situation, die fast zu einer Abschaltung oder zumindest zu einer Drosselung der Kraftwerksleistung geführt hätte«, sagt Wenzel.

Für die einzelnen Flüsse beziehungsweise Flussabschnitte gelten unterschiedliche Temperaturgrenzen, bei deren Erreichen die Leistung der Kraftwerke heruntergefahren wird. Die ökologisch absolut kritische Marke sind 28 Grad - bei diesem Wert kippen die Gewässer, der Sauerstoffgehalt sinkt dramatisch, es droht ein Fischsterben. Bei 28 Grad müssen alle Großkraftwerke vom Netz. Der einsetzende Klimawechsel lässt nach Wenzels Ansicht erwarten, dass derartige Situationen künftig häufiger auftreten. »Wir hatten im Langzeitvergleich bereits den sechsten zu trockenen Frühling in den vergangenen sieben Jahren«, sagt er.

Der Betreiber des AKW Grohnde, der Energiekonzern E.on, sieht das allerdings etwas anders: Das Unternehmen könne »nicht bestätigen, dass unsere Kernkraftwerke zunehmend durch extreme Wetterlagen in betrieblicher oder gar sicherheitstechnischer Hinsicht beeinträchtigt wären«. In »gewissen sehr warmen Wetterlagen« könne es gelegentlich zu Leistungseinschränkungen kommen, um die Temperaturgrenzwerte einzuhalten.

Ähnlich äußerten sich auch die AKW-Betreiber RWE und EnBW. Derzeit sei das Wetter nicht problematisch, sagte ein RWE-Sprecher vergangene Woche. Die Flüsse hätten die Möglichkeit, sich abzukühlen. Anders als die Weser hätten die Donau oder der Rhein auch meist ganzjährig einen hohen Wasserstand. Zudem verfügten die Kraftwerke über Kühltürme, so dass nicht die volle Wärme in den Rhein geleitet werden müsse, hieß es bei EnBW.

Tatsächlich mussten vor fünf Jahren einige Betreiber bereits die Leistung der Kernkraftwerke drosseln, um die ohnehin warmen Flüsse durch eingeleitetes Kühlwasser nicht mehr als gesetzlich genehmigt aufzuheizen. Das - seit dem Fukushima-Unglück im März 2011 heruntergefahrene - Atomkraftwerk Unterweser nördlich von Bremen produzierte deshalb im Juli 2010 weniger Strom, E.on hatte die elektrische Leistung des Reaktors von 1345 auf 550 Megawatt reduziert. Auch die Leistung des AKW Brokdorf an der Elbe musste Betreiber E.on damals vorübergehend drosseln. Gleichzeitig mussten in Baden-Württemberg drei Staustufen des Neckars zusätzlich belüftet werden, um das Sinken des Sauerstoffgehaltes zu verlangsamen und einen weiteren Volllastbetrieb des AKW Neckarwestheim zu ermöglichen.

Auch im »Jahrhundertsommer« 2003, als es schon im Frühjahr sehr heiß war, war die Stromproduktion in Deutschland beeinträchtigt. Mehrere Atom- und Kohlekraftwerke wurden vorübergehend abgeschaltet. Niedrige Pegelstände der Flüsse verschärften die damalige Situation noch. Im Jahr 2006 musste die Leistung mehrerer Atommeiler heruntergefahren werden, weil die Flüsse zu aufgeheizt waren.

Auch in Grohnde war die hohe Wassertemperatur vor wenigen Wochen nicht die erste kritische Situation: »Vor einigen Jahren stand Grohnde schon einmal kurz vor der Abschaltung«, sagt Minister Wenzel. Danach habe der Betreiber zwar zusätzliche Vorratsbecken für das warme Kühlwasser angelegt. »Unsere jetzige Messung zeigt aber, dass dies offenbar nicht reicht. Wir prüfen das jetzt intensiv, um rechtzeitig einschreiten zu können.«

Umweltschützer verfolgen die Entwicklung mit Genugtuung. Aus ihrer Sicht haben die hitzebedingten Abschaltungen oder Leistungsreduktionen einmal mehr gezeigt, dass die Meiler gefährlich und für die Stromerzeugung grundsätzlich überflüssig sind.

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