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Viel zu tun auf der SPD-Baustelle

Anstatt über eine Kanzlerkandidatur für 2017 zu diskutieren, müssten sich die Sozialdemokraten dringend über ihr Profil unterhalten, meint Georg Fülberth

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 3 Min.

An dem Vorschlag des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig, die SPD solle 2017 auf eine Kanzler(innen)-Kandidatur verzichten, ist immerhin so viel richtig, dass diese Partei zurzeit ein noch größeres Problem hat. Weil sie dieses aber offenbar für unlösbar hält, befasst sie sich stattdessen gerade mit dem nach Albigs Meinung Unsinnigen: der Spitzenkandidatur. Aus solchen Verlegenheiten entstehen manchmal Urabstimmungen. So wie 1993, als durch eine Mitgliederbefragung der Parteivorsitzende bestimmt wurde. Das Ergebnis hieß Rudolf Scharping und ist inzwischen dem Urteil der Geschichte anheimgegeben.

Als vor zwei Jahren Parteichef Sigmar Gabriel und der SPD-Vorstand nicht allein die Verantwortung für das ihrer Meinung nach Unvermeidliche und deshalb Alternativlose - die Große Koalition - übernehmen wollten, veranstalteten sie eine Urabstimmung. Das war in erster Linie demokratisch und insofern unbedingt lobenswert, zugleich aber typisch für verfahrene Situationen, in die diese Partei zuweilen gerät. Der Vorsitzende und mutmaßliche Kanzlerkandidat, der 1993 gekürt wurde, hatte bei der Bundestagswahl im darauf folgenden Jahr gegen Helmut Kohl keine Chance, vor der Mitgliederbefragung 2013 war Peer Steinbrück schon gegen Angela Merkel unterlegen. Und Albig sieht das jetzt schon für 2017 kommen.

Warum also über eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten der SPD diskutieren und abstimmen? Vielleicht deshalb: Um bei dieser Gelegenheit endlich auf einer viel größeren Baustelle aktiv zu werden - mit der Entscheidung über die Identität der Partei und damit über deren künftige Richtung.

So wie es zurzeit aussieht, stehen ihr zwei Wege offen. Erstens: Die Partei richtet sie sich darin ein, den Vizekanzler, mehrere Ministerpräsident(inn)en, Landräte und Landrätinnen, Bürgermeister(innen) und Oberbürgermeister(innen) zu stellen, lässt aber vorderhand den Anspruch fallen, die Nummer eins in der Bundesregierung zu sein. Damit kann man leben, auch mit der Variante, dass die SPD für längere Zeit auf Bundesebene in der Opposition landet. So passierte es ihr in der langen Adenauer-Ära, und daran ist sie ja auch nicht gestorben. Willy Brandt allerdings hat sich noch in den 1960er Jahren fürchterlich aufgeregt, als ihn ein CDU-Politiker fragte, weshalb die Sozialdemokratie denn unbedingt den Kanzler stellen wolle. Sie habe doch schon so schöne Posten - zum Beispiel in den Sozialversicherungen. Das war gemein.

Zweitens: Die SPD müsste um die Führung in der Politik kämpfen. Hierfür gab es in der Vergangenheit rot-gelbe und rot-grüne Koalitionen. Kann man machen - aber die Gelegenheiten werden seltener. Und eine Aufgabe bliebe ungelöst, der die SPD so lange schon aus dem Weg geht: den Schaden zu begrenzen, den ihr die Spaltung des sozialdemokratischen Potenzials bereitet. Dieses besteht seit einem Vierteljahrhundert aus zwei Parteien, deren Vereinigung nicht zu erwarten ist. Wer in der Politik nur eine einzige Option - gegenwärtig: Juniorpartnerin oder Opposition unter CDU/CSU-Dominanz - hat, ist nicht bewegungsfähig.

Zwar werden nun einige raten, über Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün nachzudenken. Nicht so hastig! Vor der Spekulation über solche Koalitionen käme ja wohl eine inhaltliche Entscheidung. Zum Beispiel: Wie hält man es mit einer Wirtschafts- und Steuerpolitik, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt? Erst danach stellt sich die Frage, mit welchen anderen Parteien als der Union das zusammen zu machen ist.

Und weil in der Politik Personen eine nicht unerhebliche Rolle spielen, mag es sein, dass eine solche Richtungsentscheidung auch mit einer Urabstimmung über eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten verbunden wird. Ob er oder sie bei der nächsten Bundestagswahl in zwei Jahren gegen Merkel gewinnt, ist nicht ausschlaggebend, denn etwas Wichtigeres wäre erreicht: Die Sozialdemokraten und ihre potenziellen Wähler(innen) wüssten endlich wieder einmal, wer die SPD ist und was sie will.

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