Barack Obama läuft in Guantanamo die Zeit davon

Der USA-Präsident unternimmt den wohl letzten Versuch, eines seiner wichtigsten Wahlversprechen doch noch zu erfüllen

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Das US-Gefangenenlager Guantanamo Bay soll nach dem Willen des Pentagon bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Barack Obama doch noch geschlossen werden.

Es dürfte wohl der letzte Anlauf von Barack Obama sein, eines seiner großen Wahlkampfversprechen doch noch zu erfüllen - wohlgemerkt aus dem Jahr 2008. Damals gewann der demokratische Präsidentschaftskandidat auch Sympathie und Stimmen, weil er die unbefristeten Inhaftierungen ohne Anklage und rechtsstaatliche Verfahren, die Folterverhöre, die Misshandlungen und Erniedrigungen von vorgeblichen Terrorverdächtigen und feindlichen »Kombattanten« aus dem Afghanistan-Krieg auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt Guantanamo Bay beenden wollte. Präsident George W. Bush hatte das Lager nach den Anschlägen vom 11. September 2001 einrichten lassen.

Als die US-amerikanische Künstlerin Jenny Holzer - weltberühmt geworden für ihre leuchtenden LED-Textbänder - jetzt zu ihren künstlerischen Wurzeln zurückkehrte und wieder zum Pinsel griff, konnte die politisch engagierte Malerin für die neuen Bilder nach wie vor Dokumente der USA-Regierung zum berüchtigten Gefangenenlager auf der Insel Kuba benutzen. Denn obwohl Obama bei seinem Amtsantritt 2009 als eine seiner ersten Maßnahmen die Schließung ankündigte, ist das Sujet weiter brennend aktuell - noch immer sind dort 116 Männer inhaftiert. Insgesamt 779 waren es seit Januar 2002. Die wenigsten wurden formell angeklagt und das vor juristisch umstrittenen »Militärkommissionen«.

Gerade hat die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte erneut das Ende des Lagers verlangt. Auch Kuba sehe die Lage dort mit Sorge, wie Außenminister Bruno Rodríguez Vorwürfe aus Washington in Sachen Menschenrechte unlängst konterte. Mehr noch. Wie die Aufhebung der Blockade sei die Rückgabe der Marinebasis Bedingung für die vollständige Normalisierung der Beziehungen. Washington hat das Territorium seit 1903 für rund 4000 US-Dollar im Jahr gepachtet. Allerdings soll Havanna die Schecks seit der Revolution im Jahr 1959 nicht mehr eingelöst haben. Einer Aufhebung des Pachtvertrags müssten aber beide Staaten zustimmen. Daran denke man trotz des verbesserten bilateralen Verhältnisses jedoch nicht, so USA-Außenminister John Kerry.

Im Juli hatte Obamas Sprecher Josh Earnest verkündet, dass Weiße Haus sei wieder einmal »in der Endphase der Ausarbeitung eines Plans«, um Guantanamo »sicher und verantwortungsvoll zu schließen«, und nannte das eine »Priorität« des Präsidenten, der nach zwei Legislaturperioden im nächsten Jahr nicht wiedergewählt werden kann. Das Lager sei eine Verschwendung von Steuermitteln, seine Schließung liege im nationalen Sicherheitsinteresse.

In dieses Horn stieß nun auch nachdrücklich Verteidigungsminister Ashton Carter. Das Pentagon werde alles tun, um das Kapitel bis zum Ende von Obamas Amtszeit zu schließen. Das sei keine Aufgabe, »die wir dem nächsten Präsidenten überlassen sollten«. Da liege er mit dem Weißen Haus auf einer Linie, so Carter vor Journalisten im Pentagon. Guantanamo sei nicht nur »teuer«. Solange das Gefangenenlager noch offen sei, diene es auch für »Parolen der dschihadistischen Propaganda«.

Eigentlich sollte der Schließungsplan schon vor der Sommerpause präsentiert werden. Hintergrund ist ein Angebot von John McCain, dem republikanischen Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses im Senat: Man könne das Aus für Guantanamo möglicherweise im Defense Authorization Act, dem Gesetz über den Verteidigungsetat für das nächste Jahr, implementieren - vorausgesetzt, die Regierung lege ein detailliertes schriftliches Konzept vor, dem der Kongress dann zustimmen müsse.

Geprüft werden nach Carters Angaben zur Zeit noch Alternativen für die Verlegung der verbliebenen Gefangenen in die USA, etwa in das Militärgefängnis Fort Leavenworth im Bundesstaat Kansas oder in die Einrichtung Navy Brig in Charleston (South Carolina). Aber genau das ist die Krux. Bisher scheiterten alle Bemühungen für eine Überstellung in die Vereinigten Staaten am Widerstand der Republikaner, wegen Sicherheitsbedenken. Auch die Gouverneurin von South Carolina kündigte jetzt an, alles zu tun, damit ihr Bundesstaat kein »Magnet für Terroristen« werde. Die Häftlinge seien »keine Pfadfinder, die man rehabilitieren könnte« und viel zu gefährlich, erklärte Michael McCaul, der Vorsitzende des Komitees für Heimatschutz im Washingtoner Abgeordnetenhaus.

Viele Insassen konnten und können jedoch nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, weil ihnen dort Verfolgung drohen würde oder - wie im Falle Jemens - Bürgerkrieg herrscht. Und die Bereitschaft zur Aufnahme in Drittstaaten hält sich stark in Grenzen. Aber auch die beteiligten US-amerikanischen Ministerien scheinen nicht immer an einem Strang zu ziehen, wie die »Washington Post« unlängst zu berichten wusste.

So habe das Justizministerium den zuvor befürworteten Regierungsplan abgelehnt, einen Teil der Häftlinge in ein weitgehend leer stehendes Bundesgefängnis in Illinois zu verlegen. Und die Bürgerrechtsorganisation »Human Rights First« warf Carter vor, selbst Überführungen ins Ausland zu verzögern. Nach Informationen des Londoner »Guardian« soll das Pentagon die bereits ausgehandelte Rückkehr von Gefangenen nach Großbritannien abgelehnt haben. Vorbehaltlose Unterstützung für den Präsidenten sieht anders aus. Jetzt soll der im Juni vom Außenministerium ernannte neue Guantanamo-Beauftragte Lee Wolosky die Überprüfung des Status’ der verbliebenen Häftlinge und ihre Ausreise in andere Länder forcieren. Präsident Obama läuft die Zeit davon.

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