Lebensgefährliche Sparpolitik

Von 2007 bis 2014 wurden 320 öffentlichen Bäder dichtgemacht – viele Kinder können auch deshalb nicht schwimmen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele öffentliche Bäder schließen. Gleichzeitig lassen sich immer mehr Eigenheimbesitzer ein privates Hallenbad bauen. Die Dialektik von öffentlicher Armut und privatem Reichtum hat fatale Folgen.

Jochen Brünger wählte drastische Worte - schon in der Überschrift. »Unsere Kinder als Opfer der Bäderpolitik« war der Vortrag betitelt, den der Vizepräsident der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) auf einer Fachtagung des Bündnisses »Pro Bad« hielt. Die Hälfte unserer Grundschüler und ein Drittel der Unter-18-Jährigen könne heute nicht mehr sicher schwimmen. Neben hausgemachten Problemen (Schwimmen sei ein vernachlässigtes Schulfach, das an den Schulen weiter an Bedeutung verliere) machte Brünger einen wichtigen Aspekt aus: die Schließung von öffentlichen Schwimmbädern, was unter anderem die Anfahrtszeiten und Kosten in die Höhe treibe.

Zwischen 2007 und 2014 wurden in Deutschland 320 der rund 7000 öffentlichen Bäder geschlossen, weitere 580 waren gefährdet. Lediglich 85 wurden saniert und 18 neu erbaut, darunter nur eines im Osten der Republik. Die Zahlen basieren auf Umfragen und einer Medienauswertung durch die DLRG, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

80 Prozent der öffentlichen Bäder befinden sich in kommunalem Eigentum. Ihr Bau und Erhalt zählt zu den freiwilligen Ausgaben. Und in Zeiten, in denen Steuereinnahmen wegbrechen und die Kosten für die Erfüllung der Pflichtausgaben exorbitant wachsen, stehen eben auch die Orte zur Disposition, in denen die Kleinen lernen, sich buchstäblich über Wasser zu halten, statt zu ertrinken. Schulträger sind meistens auch die Kommunen, die sich mit Badschließungen folglich selbst das Wasser für den Schwimmunterricht abgraben.

Öffentliche Armut auf der einen Seite - und auf der anderen? 660 000 private Schwimmbadbesitzer gibt es bereits laut Bundesverband Schwimmbad und Wellness e.V. Darunter überwiegen die Pools im Garten mit 472 000 und Hallenbäder mit 126 000 Exemplaren. Und es werden mehr: »Rund 260 000 Haushalte planen in den nächsten Jahren, einen Pool oder ein Hallenbad zu bauen.« Zudem wollten rund 30 Prozent der privaten Hallenbadbesitzer in absehbarer Zeit 50 000 und mehr Euro für Ausbau oder Sanierung ihres Bades investieren.

1,7 Milliarden Euro setzen Schwimmbadbauer und verwandte Branchen demgemäß mit privaten Kunden pro Jahr um. Die »Nischenbranche« schaffe 20 000 Jobs, ist auf der Webseite der Beckenbauerlobby zu lesen. Das heißt: Auf ein öffentliches Bad (das im Schnitt 11 500 Bürgern dient) kommen gut 131 private Bäder und Pools. Tendenz steigend.

Auf der anderen Seite geht es weniger luxuriös zu: Die Unterhaltung eines öffentlichen Schwimmbades ist kostendeckend nicht möglich, weiß man beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Die Kostendeckungsgrade schwanken zwischen 27,2 Prozent in Freibädern, 31 Prozent in Hallenbädern und bis zu 83 Prozent in Freizeitbädern.

Selbst wenn nicht alle Bäder einer Stadt schließen, so wird der Weg zum Schwimmunterricht (oder zum fröhlichen Planschen) teurer. Der Eintrittspreis ist für viele Arme ein Problem, ein regelmäßiger Schwimmbadbesuch für Einkommensschwache oder Hartz-IV-Betroffene reine Utopie. Auch wenn der Eintritt durch starke Bezuschussung gedeckelt wird. Würden die Bäder hingegen kostendeckende Eintrittspreise nehmen, sänke die Zahl der Nutzer drastisch - und damit gingen die Gesamteinnahmen erst recht in den Keller.

Doch es geht nicht nur um laufende Sach- und Personalkosten. Viele Schwimmbäder wurden in den 1960ern und 1970ern errichtet, nun stünden viele Kommunen »einem erheblichen Sanierungsstau und Modernisierungsbedarf bei ihren Bädern gegenüber«, schreibt Christian Ochsenbauer, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, in einem Fachbeitrag. »In der Konsequenz heißt das, dass dort nicht nur die jährlichen operativen Zuschüsse von einigen Hunderttausend Euro pro Jahr zu finanzieren sind, sondern Entscheidungen über Millioneninvestitionen für Modernisierungen, Sanierungen oder Neubauten anstehen.« Doch viele Kommunalkassen seien knapp, Haushalte von Investions- zu »Sozialhaushalten« mutiert, der Bewegungsspielraum für Investitionen entsprechend gering, so Ochsenbauer. Patentrezepte, wie Bäder nachhaltig gesichert werden könnten, gebe es nicht.

Die Folgen? »Ich versuche das einmal recht platt auf eine Formel zu bringen: Keine Schwimmbäder, keine Wasserfläche, keine Schwimmausbildung, keine Schwimmfertigkeit bei den Menschen. Menschen ertrinken!«, sagt DLRG-Sprecher Achim Wiese. Und er ergänzt: »Der Trend ist erkennbar - die Kurve zeigt nach unten.« Wiese wirft den Kommunen vor, nicht hinreichende Rücklagen zu bilden und den Wert von Schwimmbädern zu gering zu schätzen. Als Hauptgrund für Schließungen macht er indes ein anderes Phänomen aus: »die Finanzlage«.

»Es geht hauptsächlich immer um finanzielle Probleme«, berichtet auch Peter Harzheim. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister weist aber auf weitere Probleme hin: Die Kommunen würden verzweifelt versuchen, die Betriebskosten zu senken. »Leider gehen dabei aber auch die Sicherheit und Hygiene zu Lasten der Badbesucher. Fachpersonal wird eingespart, Hygiene und Sauberkeit werden auf Sparflamme gehalten«, so der Experte.

Seit Anfang der 1990er war die Zahl der Ertrunkenen in Deutschland erheblich gesunken. Doch auch Harzheim sieht durch Einsparungen Menschenleben bedroht: »Die Gefahr, dass unsere Ertrinkungsstatistik in Deutschland wieder schneller nach oben schnellt, wird immer wahrscheinlicher.«

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