Die Recyclerinnen von Altagracia

In Nicaragua revolutionieren arme Inselbewohnerinnen das Abfallmanagement

  • José Adán Silva, Altagracia
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Gruppe von Frauen, die auf einer Insel im Cocibolca-See im Westen Nicaraguas leben, ist ins Abfallmanagement eingestiegen: Sie sammeln, trennen und verkaufen Schrott, Plastik und Glas.

Es ist ein Anfang: Auch wenn ihre eigene finanzielle Absicherung noch nicht gelungen ist, hat eine Gruppe von Frauen ihre Gemeinde auf Ometepe auf Trab gebracht, das touristisch nachgefragte Biosphärenreservat sauber zu halten. Das Projekt nahm 2007 seinen Lauf, als María del Rosario Gutiérrez beobachtete, wie Menschen auf den Müllhalden der Hauptstadt Managua um die dort abgeladenen Wertstoffe rangelten.

»Was mögen diese Abfälle wohl wert sein, wenn Menschen dafür riskieren, verletzt zu werden«, fragte sie sich damals. Die zweifache Mutter lebte in extremer Armut. Um sich und die Kinder durchzubringen, bewirtschaftete sie einen auf Gemeindeland angelegten Gemüsegarten und verdiente mit Gelegenheitsarbeiten ein kleines Zubrot. Von einer Nachbarin erfuhr sie, dass es in Moyogalpa, der zweiten Stadt auf Ometepe, ein Büro gibt, das Schrott, Glas und Plastikflaschen gegen Bares annimmt.

Die beiden Frauen hörten sich um und fanden heraus, dass es in ihrer Gemeinde einen Zwischenhändler gibt, der lokalen Hotels die Wertstoffe abkauft, sie reinigt und später zu Recyclingzwecken nach Managua schafft. Gutiérrez stellte den Kontakt zu dem Mann her und bewältigt seither jeden Tag mit einem Sack über der Schulter riesige Wegstrecken, um die recycelbaren Abfälle zusammenzutragen. Ihre Nachbarin und andere arme Frauen folgten ihr.

Später stiegen die Frauen auf Fahrräder, um die Wertstoffe von den Straßenrändern einzusammeln, die Touristen achtlos weggeworfen hatten. »Das, was wir damit verdienten, war nicht viel, reichte aber, um unsere Familien satt zu bekommen«, erinnert sich die 30-Jährige. »Und da wir ohnehin keinen geregelten Job hatten, war es uns egal, so lange unterwegs zu sein. Aber anstrengend war das Ganze schon.«

Müllsammlerinnen sind auf den Straßen der Insel inzwischen ein gewohnter Anblick. Sie werden unter anderem von der »Stiftung zwischen Vulkanen« unterstützt. Wie Miriam Potoy, eine Mitarbeiterin, berichtet, habe man mit einer Gruppe in Moyogalpa begonnen. »Zunächst statteten wir die Frauen mit Schutzausrüstungen und Hygieneartikeln aus. Danach informierten wir sie über den Wert der Abfälle und zeigten ihnen darüber hinaus, dass sie aus Schrott Souvenirs für die Touristen herstellen können, um sich damit noch ein bisschen dazu zu verdienen.«

Von dem Engagement der Frauen beeindruckt, entschlossen sich auch andere Organisationen, Müllsammlerinnen zu unterstützen. Die Stadtregierung von Altagracia wies ihnen einen Platz zu, an dem sie die gesammelten Wertstoffe trennen und sortieren können. Tourismusunternehmen, die zuvor selbst den Müll für den Weiterverkauf getrennt hatten, gaben die Arbeit an die Frauen ab. Und Lebensmittelgeschäfte und Dienstleister wiederum stellten den Recyclerinnen das nötige Equipment zur Verfügung und berieten sie.

Die Solidarität und Unterstützung, die die Frauen erfuhren, veranlasste die Stadtregierung dazu, ihnen den Arbeitseinsatz eine Zeit lang mit jeweils zwei Dollar pro Tag zu vergüten. Der Transport der Wertstoffe bis zum Kai, von wo aus sie in die Stadt Rivas verschifft werden, ist nach wie vor für sie umsonst. Von Rivas aus geht es dann weiter auf der Straße bis ins 120 Kilometer entfernte Managua.

»Die Gemeinde weiß die Arbeit der Frauen sehr zu schätzen, und zwar nicht nur, weil sie dadurch die Insel sauber halten, was gut ist für den Tourismus, sondern auch, weil sie so eisern entschlossen sind, ihr Leben und das ihrer Familien zu verbessern«, erläutert Potoy. »Und das ist ihnen mit nicht-traditionellen Aktivitäten gelungen, die zudem zur Überwindung stereotyper Denkweisen über die Rolle der Frau in diesen entlegenen ländlichen Gebieten beitragen.« Auch Francis Socorro Hernández ist eine Recyclerin der ersten Stunde. Wie sie IPS berichtet, hat sie sich anfangs vor den Leuten geschämt, sich zu bücken und den Müll aufzusammeln. »Doch nach der Teilnahme an Workshops zu Frauenfragen sowie Schulungen über die Führung von Mikrounternehmen und über den Umweltschutz habe ich erkannt, dass ich etwas sehr wichtiges tue und dass es weitaus schlimmer ist, in einer schmutzigen Umgebung zu hausen und sich mit der Armut abzufinden. Da war es mit der Scham vorbei.« IPS

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