Wie das ZDF die Kranken heilt

Medikamentenwerbung hat vor den Nachrichten Hochkonjunktur, die Wirkung der Mittel bleibt oft eine Illusion

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 3 Min.
Was in den USA gang und gäbe ist, nämlich Pillen gegen Schmerzen oder Schnupfen ohne Doktors Rat im Supermarkt zu kaufen, kommt auch in Deutschland in Mode. Das Fernsehen hilft kräftig nach.

Es ist kurz vor 20 Uhr. Im ZDF läuft die Werbung. Durchschnittlich alle 16 Sekunden kommt ein neuer Spot. Kostenpunkt: Rund 800 Euro - pro Sekunde. Will man auch jene Zuschauer erreichen, die nur Nachrichten sehen wollen und erst ganz kurz vor deren Beginn einschalten, wird es noch teurer: Die letzten Sekunden vor der Heute-Sendung kosten um die 1400 Euro. Für die Hersteller gut angelegtes Geld, können sie doch darauf hoffen, dass sich im Unterbewusstsein des Zuschauers die Seriosität des Nachrichtensprechers auf die meist weniger seriösen Pharma-Darsteller überträgt.

Die Selbstmedikation stößt allerdings auf ein berufsständisches Hindernis. Alles, was gesund oder zumindest nicht kränker machen soll, muss durch die Hände des Apothekers. Was das ist, wählt ein Ausschuss aus, in dem Pharmazeuten das Sagen haben. »Es werden Medikamente dann als nicht verschreibungspflichtig eingeordnet«, so die vage Richtschnur des Arzneimittelgesetzes, »wenn sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Gesundheit des Anwenders nicht gefährden, auch wenn sie ohne ärztliche Überwachung angewendet werden«.

Bei einigen der rund 80 verschiedenen Gruppen von verschreibungsfreien Mitteln, die der Fachmann OTC (Over the counter)-Mittel nennt, sorgt aggressive Werbung dafür, dass sich an den Wänden einer normalen Apotheke die TV-umworbenen Präparate als Blickfang stapeln. Mit der Sparreform 2004 haben sich die Krankenkassen von der Erstattung solcher Arzneien verabschiedet. Angesichts der eher mageren Apothekenmargen bei verschreibungspflichtigen und damit meist auch erstattungsfähigen Medikamenten halten sich Apotheker und Hersteller bei den sich selbst kurierenden Konsumenten schadlos. Als verschreibungsfrei gilt alles, was die Weisen aus der Pharmazie dafür halten. Den schmerzgeplagten Fernsehkonsumenten bleibt die Hoffnung, dass zumindest eine der sechs oder sieben umworbenen Schmerzsalben tatsächlich hält, was die als Patienten verkleideten Schauspieler so eindringlich versprechen.

In dem komplizierten Geflecht aus Zuständigkeiten liefert das Bundesamt für Arzneimittelsicherheit die nötigen Fakten und verwaltet die sachverständigen Protokolle. Die so überprüften Arzneien können aber »Over the Counter« verkauft werden - wobei der sich selbst therapierende Patient selten den Apotheker und noch seltener seinen Arzt zu Rate zieht.

Doch auch OTC-Präparate sind gelegentlich nicht ganz frei von Nebenwirkungen - insbesondere bei falscher Dosierung. Häufig sind sie aber auch frei von Wirkungen, wie die Stiftung Warentest bei früheren Untersuchungen bereits festgestellt hat, abgesehen vom berühmten Placebo-Effekt. Wie das Arzneimittelsicherheitsinstitut feststellt, bergen auch OTC-Mittel gewisse Risiken, vor allem in Verbindung mit anderen Wirkstoffen. Seine Experten raten dringend, die Packungsbeilage zu lesen. Unter dem Bombardement sich ständig wiederholender Reklamerhythmen im Werbefernsehen greift der Verbraucher öfter und unkritischer zu Stimulanzien gegen den Alltagsstress oder kleine Befindlichkeitsstörungen, warnen Wissenschaftler. Rund vier Milliarden Euro gibt der malade Bundesbürger für die rasche Gesundung aus, die häufig Illusion bleibt.

Das ZDF trägt dabei eine Mitverantwortung für fehlgeleitete Patientengelder. Der Sender lockt die Branche mit hohen Rabatten. So erlassen die Mainzelmänner den Werbetreibenden die Kosten für den obligatorischen Warnhinweis: »Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker«. Immerhin macht dieser Spruch normalerweise ein Viertel der Gesamtkosten eines TV-Spots aus. Wer häufig wiederholt, erhält weitere Preisnachlässe.

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