EU-Mehrheit setzt Flüchtlingsverteilung durch

Bahn stellt Fernverkehr nach Salzburg und Budapest ein / Harte Fronten vor EU-Krisentreffen zu Flüchtlingen/ Migrationsbericht erwartet anhaltend hohe Flüchtlingszahlen / Tschechien bekräftigt Absage an Flüchtlingsquoten /

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EU-Mehrheit setzt  Flüchtlingsverteilung durch

Update 17.40 Uhr: EU-Mehrheitsbeschluss für Verteilung von 120.000 Flüchtlingen
Die EU-Innenminister haben bei ihrem Sondertreffen die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen in Europa beschlossen. Die Entscheidung sei »durch eine große Mehrheit von Mitgliedstaaten« gefasst worden, teilte die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Gegen die Umverteilung von Flüchtlingen aus stark belasteten Ankunftsländern wie Italien und Griechenland hatte sich bis zuletzt eine Reihe osteuropäischer Staaten gewehrt.

Update 16.35 Uhr: Präsidenten fordern Ergebnisse bei EU-Treffen zu Flüchtlingen
Die Präsidenten von elf EU-Ländern fordern von den Brüsseler Krisentreffen zur Flüchtlingsfrage greifbare Ergebnisse. »Wir alle haben den dringenden Wunsch, dass sich unsere Regierungen, die sich heute und morgen in Brüssel treffen, darauf einigen, wie Europa konkret mit dieser Herausforderung umgeht«, sagte Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag in Erfurt.

Dort ging ein zweitägiges Treffen von nichtregierenden EU-Staatsoberhäuptern zu Ende. Die von Gauck eingeladenen Präsidenten betonten die Notwendigkeit, die Ursachen für die Flucht Zehntausender Menschen zu bekämpfen.

Beim Krisentreffen der EU-Innenminister am Dienstag in Brüssel ging es um die Verteilung von weiteren 120 000 Flüchtlingen innerhalb Europas. Am Mittwoch beraten dann an gleicher Stelle die Staats- und Regierungschefs. Eine Einigung dort sei so wichtig, weil der anhaltende Andrang von Flüchtlingen die Menschen beschäftige und auch mit Sorge erfülle, sagte Gauck. Für viele Länder nehme die Situation krisenhafte Züge an.

Es gehe es nicht nur um den Schutz derjenigen, die Schutz suchen, sondern auch um den Schutz der europäischen Außengrenzen, sagte Gauck. »Und wir müssen uns fragen, intensiver als zuvor: Was können wir tun, um die Verhältnisse in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern?«

Gaucks österreichischer Amtskollege Heinz Fischer sagte, für die Zukunft der EU und deren weiteren Zusammenhalt sei es von großer Bedeutung, »ob wir in der Lage sind, auch die eigentliche Ursachen für diese Flüchtlingsproblematik, die ja zum Großteil außerhalb Europas liegen, zu erkennen, entsprechende Gegenmaßnahmen zu setzen und auch ein hohes Maß von Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen«.

Gauck hatte die Staatsoberhäupter Italiens, Polens, Portugals, Österreichs, Bulgariens, Estlands, Finnlands, Lettlands, Sloweniens und Maltas nach Eisenach und Erfurt eingeladen. Sie gehören zu der sogenannten Arraiolos-Gruppe von EU-Staatsoberhäuptern, die keine Regierungsaufgaben haben. Bereits zum Auftakt am Montag hatte Gauck mit Blick auf die Flüchtlingssituation für ein Zusammenstehen der Europäer geworben.

Die Arraiolos-Gruppe, die sich einmal jährlich trifft, ist nach dem Ort ihres ersten Treffens 2003 in Portugal benannt. Das nächste Treffen der Gruppe soll 2016 in Bulgarien folgen.

Update 14.45 Uhr: Griechenland und Italien sollen stärker von Umverteilung profitieren
Die geplante Umverteilung von weiteren 120 000 Flüchtlingen innerhalb Europas soll Griechenland und Italien noch stärker entlasten als zunächst gedacht. Die Botschafter der 28 EU-Staaten vereinbarten nach Angaben von Diplomaten am Dienstag in Brüssel, dass diese beiden Länder auch noch von dem freigewordenen ungarischen Kontingent profitieren sollen - außer die Situation habe sich in einem Jahr geändert. In einem Jahr soll die EU-Kommission die Lage analysieren und dann einen Vorschlag machen.

Somit könnten die beiden Mittelmeerländer nicht nur wie geplant von 66 000 Asylbewerbern entlastet werden, sondern sie können sich auch Hoffnungen darauf machen, weitere 54 000 Flüchtlinge abzugeben. Zunächst war im Gespräch gewesen, dass andere Staaten wie Kroatien davon profitieren sollten; auch Deutschland hatte sich laut EU-Diplomaten selbst ins Gespräch gebracht.

Die zunächst geplante Möglichkeit, dass Staaten sich von der Verteilung mit einer bestimmten Summe freikaufen könnten, ist laut Diplomaten inzwischen vom Tisch. Das hätten auch die Botschafter bestätigt. Nur bei besonderen Umständen, also etwa Naturkatastrophen, sollen Staaten die auf zwei Jahre vorgesehene Aufnahme um ein Jahr strecken können, aber nur für 30 Prozent der zugewiesenen Zahl.

In der EU sollen weitere 120 000 Flüchtlinge verteilt werden, davon 15 600 aus Italien und 50 400 aus Griechenland.

Update 13.00 Uhr: Bahn stellt Fernverkehr nach Salzburg und Budapest vorübergehend ein
Wegen der Flüchtlingskrise stellt die Deutsche Bahn bis zum 4. Oktober den Fernverkehr zwischen München, Salzburg in Österreich sowie der ungarischen Hauptstadt Budapest ein. Grund seien die derzeitigen Grenzkontrollen, teilte die Bahn am Dienstag auf ihrer Internetseite mit. Das Unternehmen bat seine Kunden um Verständnis für die Unannehmlichkeiten.

Update 12.50 Uhr: Tschechien bekräftigt Absage an Flüchtlingsquoten
Vor dem Sondertreffen der EU-Innenminister zur Flüchtlingskrise hat Tschechien seine Ablehnung verpflichtender Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen bekräftigt. Prag lehne »unmissverständlich« jeden Versuch ab, einen »dauerhaften Mechanismus der Verteilung von Flüchtlingen« in der EU einzuführen, sagte Regierungschef Bohuslav Sobotka am Dienstag in Prag. Seine Regierung sei zudem nach wie vor gegen eine verbindliche EU-weite Flüchtlingsquote.

Update 12.00 Uhr: Harte Fronten vor EU-Krisentreffen zu Flüchtlingen / Diplomaten zeigen sich zuversichtlich
Unmittelbar vor dem EU-Ministertreffen zur Verteilung von Flüchtlingen in Europa ist bei Diplomaten die Hoffnung auf eine Einigung gestiegen. Es herrsche Zuversicht, dass die Innenminister am Abend eine Verteilung von 120.000 Flüchtlingen beschließen würden, hieß es am Dienstagmorgen in Brüssel in informierten Kreisen. Demnach könnte es zu einem Beschluss kommen, in dem von »Quoten« oder einer »verpflichtenden« Aufnahme nicht die Rede ist. Für die Verteilung sollen jedoch Länderzahlen gelten, die dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verteilschlüssel ähneln.

Staaten, die sich wegen außergewöhnlicher Umstände nicht zu einer Aufnahme in der Lage sähen, sollten einen befristeten zeitlichen Aufschub erhalten, hieß es. Eine Regelung, nach der sich die Staaten von der Zuteilung freikaufen könnten, stehe hingegen im Moment nicht zur Debatte.

Die Innenminister der 28 EU-Staaten treffen sich am Dienstagnachmittag in Brüssel und wollen bis in die Abendstunden beraten. Am Mittwochabend kommen in der belgischen Hauptstadt die Staats- und Regierungschefs der EU zusammen. Sie wollen ebenfalls über die Flüchtlingskrise sprechen - allerdings eher über außenpolitische Aspekte, etwa die Zusammenarbeit mit der Türkei. Über die Verteilung von Flüchtlingen über Europa streiten die EU-Regierungen bereits seit Monaten. Insbesondere östliche EU-Staaten stemmen sich gegen eine verbindliche Quote.

Rekordwert für Asylanträge in OECD-Raum erwartet

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet für das laufende Jahr einen Rekordwert an Asylanträgen in ihren 34 Mitgliedstaaten. Mit bis zu einer Million Anträgen könnte 2015 der höchste gemessene Wert seit Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht werden, heißt es im am Dienstag in Berlin vorgestellten Migrationsausblick 2015 der OECD.

Aufgrund der anhaltenden Gewalt in Syrien, des weitgehenden Zusammenbruchs staatlicher Institutionen in Libyen sowie der sich verschlechternden Sicherheitslage in Irak, Afghanistan, Libanon und der Türkei erwartet die Organisation auch für die kommenden Jahre weiter sehr hohe Flüchtlingszahlen im OECD-Raum.

Während OECD-Staaten wie Australien oder Großbritannien in den vergangenen Jahren den Zugang für Flüchtlinge erschwert hätten, sei der Zuwachs an Asylanträgen insbesondere auf die hohen Zahlen in Deutschland zurückzuführen, schreiben die Autoren des Migrationsausblicks. Gemessen an den Asyl-Anträgen pro Einwohnern bleibe allerdings Schweden mit 7,8 Asylanträgen pro tausend Einwohnern das von der Flüchtlingskrise meist betroffene Land, gefolgt von Österreich und der Schweiz.

Sorge bereitet der OECD insbesondere die hohe Zahl unbegleiteter Minderjähriger unter den Flüchtlingen. Obwohl viele Minderjährige überhaupt keinen Asylantrag stellten, seien 2014 unter den Asylantragstellern 24.000 unbegleitete Minderjährige gewesen, schreibt die OECD.

Die Autoren des Berichts sehen Deutschland und Europa aber in der Lage, die Herausforderung hoher Flüchtlingszahlen zu stemmen. Der OECD-Bericht verweist unter anderem auf 300.000 Flüchtlinge des Bosnienkrieges und 78.000 Flüchtlinge des Kosovo-Krieges, die Deutschland in den 90er Jahren sowie Angang der 2000er Jahre zeitweise aufgenommen hatte.

»In all diesen Fällen konnten europäische Länder, obwohl sie anfangs auf dem kalten Fuß erwischt worden waren, die Situation erfolgreich bewältigen und verbleibende Migranten integrieren«, heißt es in dem Ausblick.

Die Autoren fordern die OECD-Mitgliedstaaten auf, frühzeitig in die Neuankömmlinge zu investieren und sie insbesondere über Sprachförderung schnellstmöglich an den Arbeitsmarkt heranzuführen, um die Menschen erfolgreich zu integrieren. Anders als bei früheren Migrationsschüben müssten sich die Länder auf sehr unterschiedliche Neuankömmlinge vorbereiten. Die OECD empfiehlt deshalb ihren Mitgliedstaaten auf die Herkunftsländer maßgeschneiderte Integrationsmaßnahmen zu entwickeln. AFP/nd

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