»Manche freilich ...

Kathrin Gerlof über unerotische Buchstabenkombinationen TTIP & CETA und die Notwendigkeit, sich dagegen zu wehren

  • Lesedauer: 3 Min.

...müssen drunten sterben.« Als Hugo von Hofmannsthal 1896 diese Zeile schrieb und möglicherweise eine Galeere ohne Dieselmotor von VW und ohne Sonnenkollektoren auf Deck vor Augen hatte, kann er ja nichts gewusst haben von TTIP und CETA. Diese unerotischen Buchstabenkombinationen aber werden einen Zustand verfestigen und verschlimmern, der sich dadurch auszeichnet, dass eine Menge Menschen unten in der Galeere an den Rudern sitzen und eine viel, viel kleinere Menge oben auf Deck im Liegestuhl gerührten Martini trinken darf. »Andre wohnen bei dem Steuer droben, kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.« Hugo hat es schöner gesagt, aber im Grunde sind wir uns einig.

Das Transatlantische Handelsabkommen ist jetzt auch nur ein willkürlich gewähltes Beispiel dafür, dass wir permanent verarscht werden. Es wird allein deshalb an erster Stelle genannt, weil wir am 10. Oktober alle genau jenes verbalisierte Körperteil hochkriegen und auf die Straße bringen sollten, um gegen das geplante Freihandelsabkommen zu demonstrieren. Dies ist kein Aufruf zur Gewalt, aber der Hinweis sei gestattet, dass wir mit »Bitte!« und »Ach nö, nicht TTIP!« nicht weiterkommen. Und auch nicht mit Plakataktionen vor dem Reichstagsgebäude, um jetzt mal einen Insiderwitz zu wagen. Der Reichstag liest keine Transpis.

Alles ist an uns vorbeiverhandelt worden. Im Geheimen und ohne uns zu fragen. Schon allein das ist eine Sauerei, zugleich aber eine Gesetzmäßigkeit, der man mit Bitten und Betteln nicht beikommt. Schlimmer aber ist, dass wir nicht nur das berühmtberüchtigte Chlorhühnchen (dagegen gibt es schließlich Glaubersalz und so Zeug) bekommen werden. Möglicherweise wächst uns allen irgendwann auch ein dritter Arm, weil wir dieses ganze gentechnisch veränderte Zeug in uns reinstopfen, von dem wir gar nicht wissen, dass es jetzt in den Regalen liegt. Und wenn wir es wissen und dann noch mal sagen »Ach nö!« und »Bitte nicht!«, dann klagen sich die Unternehmen aus Übersee über private Schiedsgerichte auf unsere Teller und in unsere Mägen.

Die Bundesregierung findet das Abkommen ja klasse und sagt, es werde neuen Schwung in den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt bringen. Die haben auch schon mal besser gelogen, sind aber gerade ein bisschen abgelenkt durch die vielen Flüchtlinge. Außerdem - jetzt kommt der Hammer! - gibt es einen (noch mal in Zahlen: Einen!) Bundestagsabgeordneten, Mitglied der CDU-Fraktion, der Jürgen Hardt heißt, aber kein Schlagersänger ist und Zugang zu den Verhandlungstexten bekommen hat.

Jetzt könnten wir uns natürlich überlegen, dass wir am 10. Oktober sowohl unsere Ärsche hochkriegen und zu dieser Demo gegen TTIP und CETA gehen (CETA ist übrigens dieser Vertrag, der uns die privaten Schiedsgerichte bescheren wird - das ist ein bisschen, als würde beim Endspiel der Fußball-WM der Schiedsrichter unter den Zuschauern ausgelost), als auch alle bei Jürgen Hardt anrufen und ihn bitten, uns mal zu referieren, was er gelesen hat. Feine Idee. Und er muss uns nicht leidtun, schließlich gehört er zu der Partei, die uns weismachen will, dass die Regulierung von Gentechnik ein Hemmnis ist, das es abzubauen gilt. Aber selbst wenn er Mitglied bei der teuren Toten wäre: Gabriel der Wohlgenährte erklärt uns ja nun schon seit Monaten, wie toll diese beiden Abkommen sind und dass wir den Politikern schon vertrauen können, die würden nichts gegen ihre Bürgerinnen und Bürger tun. Seit wann das denn, möchte man fragen, aber das ist vertane Zeit.

Wenn wir also nicht drunten sterben wollen, stattdessen droben beim Steuer stehen, dann sollten wir am 10. Oktober um 12 Uhr in Berlin am Hauptbahnhof stehen und uns wehren. Und wir sollten in Rage sein und Ausschau nach Jürgen Hardt halten. (Diese Kolumne muss ja nicht immer mit Satire enden.)

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