Die Romantik ist tot. Es lebe die Romantik!

Ist eine Liebe fernab des Spektakels möglich? Eine Spurensuche.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie, schüchterne Sekretärin mit Zopf, ist unsterblich verliebt in ihn, den aufstrebenden und gut aussehenden, aber leider verheirateten Jungmanager im namenlosen Großkonzern. Nach einer monatelangen, turbulenten Affäre ist es endlich soweit: Er verlässt seine gefühllose Ehefrau und lässt die Sekretärin auf das mit Rosenblättern übersäte Dach des Konzerngebäudes bringen. Dort wartet er im edlen Anzug an den Kufen seines privaten Hubschraubers. Der Wind weht durch das lockige Haar, sein verschmitztes Lächeln verspricht ihr die ganze Welt und noch viel mehr. Sie lässt sich von ihm in den Hubschrauber setzen, ein Kribbeln geht durch den ganzen Körper.

Während sie in Richtung Sonnenuntergang losfliegen, hat sich die Belegschaft auf dem Dach versammelt und jubelt ihnen frenetisch hinterher. Im Hubschrauber der lang ersehnte Moment. Er öffnet die Schatulle mit dem Ring, den er von seiner Großmutter vererbt bekommen hat. Sie wischt sich die Tränen aus den Augen. Eine kurze Frage, ein fester Blick, im Hintergrund das Feuerwerk.

Doch halt, was ist das? Eine große dunkle Wolke erscheint plötzlich am Himmel. Sie besteht aus Steuerschulden, Burnout, chronischen Blähungen und Erektionsproblemen. Der Hubschrauber kann nicht ausweichen und explodiert beim Aufeinandertreffen mit der Wolke. Die beiden Verliebten regnen in kleinen Stückchen auf die noch auf dem Dach versammelte Belegschaft herunter, die sich freut, ihren Manager endlich losgeworden zu sein.«

Wäre dies eine Hollywoodgeschichte gewesen, hätte es sicher ein Happy End gegeben. Ein Ende mit Ehe, Kindern, abgefahrenem Sex, spontanen Kurzurlauben in exotischen Ländern, stetes Knistern, das ganze Programm. Die Drehbücher der Kultur- und Werbeindustrie sind jedoch mit der Alltagsrealität nicht kompatibel. Wenn die überzeichneten Bilder der Filmidole ins Verhältnis gesetzt werden zum eigenen Partner, der sich schon wieder am Hintern kratzt und bereits seit mehreren Tagen mit einem schwer identifizierbaren Fleck am T-Shirt rumläuft, dann kann es schon mal zu grausamen Szenen, zumindest zu enttäuschten Gesichtern kommen.

Die romantischen Blockbuster mit ihrem Prunk und Spektakel sind nicht mal besonders kreativ, folgen lieber altbewährten Mustern: Da gibt es den »Cinderella-Plot«, in dem ein »modernes Aschenputtel« sich in einen reichen Prinzen verliebt, an seinem Status und Geld aber kein Interesse hat (»Hitch - Der Date Doktor«, »Pretty Woman«). Oder den »Mut-zur-Liebe-Plot«, indem die Charaktere gegen finanzielle und soziale Vorbehalte ankämpfen müssen, um sich zum Schuss ihre Liebe einzugestehen (10 Dinge, die ich an Dir hasse, Breakfast at Tiffany's). Geld, Klasse, Bildung - natürlich alles nebensächlich, wenn die weiße, heterosexuelle Mittelschicht der Kultur- und Werbeindustrie ihre Abziehbilder der bedingungslosen und alles überwindenden Liebe präsentiert.

Im Normalfall lachen die Leute ja über so einen Quatsch und erfreuen sich trotzdem daran. Was soll die romantische Liebe schon sein? Es gibt die durchkommerzialisierte Vorstellung von ihr voller Kitsch und Klischees - und dann gibt es die ganzen banalen, komplexen, absurden, chaotischen und langweiligen Beziehungen, die die Menschen eben so führen. Wenn man einen gemeinsamen Nenner suchen will, um schwer erklärbare Gefühle erklärbar zu machen, könnte man die gelebte Romantik vielleicht noch definieren als eine diffuse Sehnsucht nach Bedeutung, den Wunsch, den Intensitäts- und Lautstärkeregler des manchmal zu vernünftigen und rationalen Lebens hochzudrehen.

Sich auf einen Menschen, wie er ist, in freier Wahl vollkommen einzulassen, und diesen dann auch eine Zeit lang auszuhalten. Doch wie selbstbestimmt sind diese Sehnsüchte und Vorstellungen trotz allen Reflektierens, aller soziologischer Studien, aller Ironie? Während die Leute sich in dem einen Moment noch über die albernen und unrealistischen Liebesszenen in einem Film lustig machen, erwischen sie sich im nächsten Moment beim Picknick am italienischen Strand, wie sie ihrem Partner den melancholischen Soundtrack aus besagtem Film schenken.

Wie lästige GEZ-VertreterInnen schwirren die Bilder in unseren Köpfen herum und verbreiten Flausen von einsamen Holzhütten in finnischen Wäldern und Wochenenden im verregneten Paris. Für die Soziologin und Autorin des Buches »Der Konsum der Romantik«, Eva Illouz, liegt dies daran, dass der Kapitalismus mit seinem Versprechen von Selbstverwirklichung, Freiheit und Genuss gut an die Leitmotive der romantischen Liebe und damit an unsere Sehnsüchte anknüpfen kann.

Auch vor dem Kapitalismus musste sich die romantische Liebe mit Ideologien herumschlagen. Das Patriarchat, die Religion, die Ständegesellschaft, die Institution der Ehe, ätzende Könige (Tristan und Isolde) und verfeindete Familien (Romeo und Julia), um nur einige zu nennen. Seit dem Aufkommen der modernen, kapitalistischen Gesellschaft gibt es nach Meinung von kritischen SoziologInnen wie Illouz oder Sven Hillenkamp nun zwar mehr Freiheit für die Liebenden. Nur sei diese eine ambivalente Freiheit, die - wie generell das Leben im Kapitalismus - geprägt sei von Überforderung, Unsicherheit, Unzufriedenheit und Einsamkeit.

Dafür gibt es heutzutage aber wenigstens tolle Dinge zu kaufen, mit denen sich Verliebte in wiederkehrenden Ritualen beschenken und von ihren Gefühlen überzeugen können: Vom »Romantik-Schwimmen« im Hallenbad (»Alles wirkt etwas entrückt und offenbart wiederum ein bezauberndes Flair, dem Sie sich schnell ergeben«), über eine offizielle Sternentaufe (»Personalisiertes Zertifikat, mit funkelnden Swarovski-Steinen veredelt, in edler herzförmiger Geschenkbox«) bis hin zu »romantischen Geschirrtüchern« (»Diese neue Linie aufwendig bedruckter Geschirrtücher bringt einen Hauch von Romantik in jede Küche«) ist für jeden Geschmack etwas zu finden. Sollte die Zeit mal wieder zu knapp sein für die Planung des prickelnden Mega-Rendezvous, können auch einfach Profis beauftragt werden.

Die auf Verabredungen spezialisierte Berliner Agentur »bow & arrow Events« bietet beispielsweise romantische Fertigpakete an (»Einen ganzen Tag nur Burger essen« ab 30 Euro pro Person; »Es tut mir leid - sich entschuldigen« ab 244 Euro pro Person), ermöglicht aber auch ein Wunschpaket, bei dem Anlass (»Auf den Putz hauen«, »Heiratsantrag«), Erlebnis (»Nervenkitzel«, »Nachtleben«), Zusatzoptionen (»Chauffeur«, »Feuerwerk«, »Hundesitter«) und maximales Budget gewählt werden können.

Dieses Dienstleistungs- und Warenangebot mag nicht jedermanns Ansprüche erfüllen. Ekelgefühle, intellektuelles Naserümpfen und Augenverdrehen sind klassische Reaktionen auf eine vorgefertigte Instant-Romantik, die mit profanem Geld gekauft werden kann. Gepriesen wird stattdessen gerade von gebildeten GroßstädterInnen das vermeintlich Kreative, das Originelle, das Authentische: ein selbst gemachtes Mixtape, das verpeilte Umherstreunen mit Händchenhalten auf dem Festival, das Schwarz-Weiß-Foto aus dem Automaten oder der Roadtrip durch das arme Land mit der tollen Natur. Hauptsache wenig Geld und »echt«.

Die individuellen und vom Kapitalismus beeinflussten romantischen Bedürfnisse sind unterschiedlich und hängen von verschiedenen Faktoren ab: »Die Fähigkeit, das romantische Ideal in den Bereichen der Kommunikation und des Konsums auszuleben, erfordert eine romantische Kompetenz, die sich durch den Zugang zu sprachlichen, ökonomischen, kulturellen und zeitlichen Ressourcen auszeichnet«, erklärt Illouz. Gerade die Arbeiterklasse habe es so schwer, ihre romantischen Bilder im Kopf mit Leben zu füllen und im Ehealltag für ein ständiges Knistern zu sorgen. Den oberen Klassen falle dies durch ihre Bildung, ihr Geld und ihre flexiblere Zeiteinteilung bedeutend leichter.

Ist das Happy End dann wenigstens noch in der alle gesellschaftliche Grenzen überwindenden Ehe zu finden? 80 Prozent der deutschen Paare haben heute laut dem Soziologen Hans-Peter Blossfeld von der Universität Bamberg ein ähnliches Bildungsniveau und ähnliche Berufe. Die Klassen bleiben auch in der Liebe unter sich, die Einkommensunterschiede zwischen den Haushalten werden immer größer.

Unsere romantischen Beziehungen sind nicht so, wie es die künstlichen Folien der Werbe- und Kulturindustrie vorgaukeln. Amors Werk wird hier und da von inszenierten Momenten und Klassenverhältnissen beeinträchtigt. Wir können nur immer wieder die Klischeebilder und Romantik-Götzen in unseren Köpfen mit einem großen Hammer zertrümmern, um danach aus den Scherben etwas Schöneres und zumindest ein bisschen Individuelleres zusammenzubasteln.

Die Unvollkommenheit, Beschränktheit, ja sogar die Unhöflichkeit der romantischen Liebe im Kapitalismus anzuerkennen, ist ein erster Schritt. Für alles Weitere sei Gelassenheit geraten. Vielleicht gibt es sie, die romantische Liebe fernab des Spektakels. Vielleicht ist sie »das, was bleibt«, wie es die Schriftstellerin Sibylle Berg geheimnisvoll definiert. Vielleicht eröffnet sich beim Aushalten seines sich am Po kratzenden Partners eine neue Freiheit, von der Hollywood nichts versteht. Bei der Suche sollten wir jedenfalls vorsichtig sein. Die utopische Romantik scheint wie ein scheues Reh zu sein, zu lautes Schreien und pathosgetränktes Trampeln verschrecken sie. Deswegen sollten Medienschaffende nur noch flüstern, wenn sie sich über Romantik äußern - oder einfach mal die Klappe halten.

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