Umzingelt von »Volksfahrrädern«

Nach der Pegida-Kundgebung in Dresden fordert Justizminister Maas zivilen Widerspruch

  • Fabian Köhler und Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Pegida-Kundgebung zum ersten Jahrestag mit bis zu 20 000 Teilnehmern am Montag in Dresden hat bundesweit Empörung hervorgerufen. Erste Rufe nach einem Verbot werden laut.

»Pegida«-Gründer Lutz Bachmann will Bundesinnenminister Thomas de Maizière wegen Volksverhetzung anzeigen. De Maizière hatte die »Pegida«-Organisatoren als Rechtsextreme und Rattenfänger kritisiert. Vorwürfe, die Pegida-Demonstranten liefen Neonazis hinterher, beantworten Redner zunehmend mit gleichlautenden Angriffen. So auch am Montagabend in Dresden. Dort verglich Lutz Bachmann Bundesjustizminister Heiko Maas mit einem Naziführer aus den 30er Jahren. Doch leicht verfangen sich die Redner in der Unlogik ihrer Argumente. Der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci nannte Politiker »Gauleiter gegen das eigene Volk«, sprach von »Umvolkung« und von Flüchtlingen als »Invasoren«. Und dann bedauerte er, dass die KZ nicht mehr in Betrieb seien.

Tags darauf forderte Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, das Verbot der Pegida-Demonstrationen (Beitrag unten). Justizminister Maas sprach von einer Verantwortung, die auch Bürger hätten, gegen rechtsradikale Hetze vorzugehen. »Die Justiz ist gefordert, aber jeder Einzelne auch«, sagte Maas im ARD-Morgenmagazin. »Zu schweigen und rassistische, menschenverachtende Kommentare einfach hinzunehmen, geht in unserer heutigen Atmosphäre nicht mehr.« SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi forderte dagegen vor allem den Verfassungsschutz auf, rechtsradikale Hetzer »unter die Lupe« zu nehmen. Insbesondere die sächsischen Sicherheitsbehörden seien hier gefragt, sagte sie im Deutschlandfunk.

Das findet auch die Union richtig. Der Verfassungsschutz sei »schon sehr aufmerksam, er muss allerdings auch in Zukunft seine Aktivitäten personell noch verstärken«, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der »Rheinischen Post«. Das sei auch ein Auftrag an den Haushaltsgesetzgeber, beim Bundesamt für Verfassungsschutz im kommenden Jahr die erforderlichen Stellen zu schaffen.

Am Montagabend hatte Pegida die Kundgebung von Gegendemonstranten umkreist abgehalten. Nach einem Sternmarsch aus vier Richtungen waren auf dem Theaterplatz die Sprechchöre der Gegendemonstranten zu hören. Beide Seiten trennten teils nur ein paar Dutzend Meter - und Hundertschaften sächsischer Bereitschaftspolizisten. Hunderte äußerlich erkennbare Neonazis pöbelten am Rand des Platzes, Böller flogen.

Aber auch auf und vor der Bühne und unter jenen Teilnehmern, die sich selbst als ganz normale Bürger verstehen, war die Stimmung äußerst aggressiv. Lutz Bachmann und die Dresdner Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling wetterten wie üblich gegen »Asylbetrüger« und »Volksverräter«. Auf Schildern dankten Demonstranten Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban für seine migrantenfeindliche Politik und forderten, Angela Merkel und Joachim Gauk in den Gulag zu sperren. Den rassistischen Tiefpunkt des Abends lieferte schließlich der islamfeindliche Autor Akif Pirinçci mit seiner Rede. Darin sprach er von Muslimen, die »Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen« und meinte, als die Menge »Widerstand« gegen die Politik forderte: »Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.« Die Menge antwortete mit »Wir sind das Volk« und »Merkel muss weg«. »Das wird heute unsere größte Party seit dem Reichsparteitag von 33«, freute sich ein älter Mann mit Pudelmütze und erntete das erhoffte Gelächter

Als die Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz zu Ende ging, eskalierte die Lage völlig. Organisierte Neonazis verabredeten sich zur späteren Jagd auf »Zecken«. Mehrere Hundert von ihnen marschierten vom Zwingerteich in Richtung Einkaufsstraße. Am Altmarkt warfen Hooligans Pflastersteine auf Polizisten. »Emotionsgeladen«, nannte das die Dresdner Polizei auf Twitter. Ein Kameramann der russischen Nachrichtenagentur Ruptly wurde von Pegida-Anhängern zusammengeschlagen. Neonazis streckten einen Marokkaner mit einer Flasche nieder. Ein Reporter der Sächsischen Zeitung berichtete, er habe nur knapp rechten Schlägern entkommen können. Auch ein Reporter der Deutschen Welle wurde angegriffen.

Auf bis zu 20 000 Menschen bezifferte ein Bündnis namens »Herz statt Hetze« die Zahl der Teilnehmer an einem Sternmarsch sowie an anschließenden Kundgebungen gegen Pegida - die ersten Aktionen dieser Art seit Wochen. Bei den Demonstrationen wurde teils mit Ironie auf die Parolen von Pegida reagiert; deren Hetze gegen »Volksverräter« etwa wurde mit einem Plakat karikiert, das »Volksfahrräder« forderte. Aber auch ein »Verbot aller faschistischen Parteien und Organisationen« wurde verlangt. An dem Protest beteiligten sich namhafte Bundes- und Landespolitiker von LINKER, SPD und Grünen. Jürgen Kasek, Landeschef der Grünen, erklärte in Rufweite zur Pegida-Kundgebung, die rassistische Initiative bereite »den Boden für den um sich schlagenden Hass in Sachsen«. Das Theater erklärte auf einer Videowand, sie sei »kein Bühnenbild für Fremdenhass«.

Scharfe Kritik übte »Herz statt Hetze« später an der Polizei und am zuständigen Minister Markus Ulbig (CDU). Zu wenige und schlecht vorbereitete Beamte seien mit einem falschen Konzept in den Einsatz geschickt worden und hätten »mehrfach Gefahren erzeugt, statt sie abzuwenden«, hieß es. Teils hätten Protestierende vor Hooligans und Nazis die Flucht ergreifen müssen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal