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Armen Gemeinden fehlt Zukunftsgeld

Ökonomen fordern Entlastung der Kommunen durch den Bund bei Sozialausgaben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit der Jahrtausendwende reichen die kommunalen Investitionen nicht mehr für den Erhalt der Infrastruktur aus.

Wilhelmshaven und München - ein Land, zwei Welten. Rund 850 Kilometer muss man fahren, um von der »nördlichsten Stadt Italiens« zur kreisfreien Stadt an der Nordseeküste zu gelangen. Doch wohl viel entscheidender: Während die bayerische Metropole im Jahr 2013 pro Einwohner 724 Euro in ihre Infrastruktur investieren konnte, blieben Wilhelmshaven dafür nur mickrige 35 Euro.

Für die Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist dies mehr Muster als Zufall. Von einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle bei Investitionen in die öffentliche Infrastruktur gehen sie in ihrer Studie zu kommunalen Investitionen aus, die sie am Mittwoch in Berlin vorlegten. Während neun der zehn Gemeinden mit den höchsten Zukunftsausgaben in Bayern liegen, und auch in Baden-Württemberg ordentlich investiert wird, sieht es etwa in Mecklenburg-Vorpommern eher düster aus. Mit im Schnitt 148 Euro pro Einwohner weisen die Kommunen des nordostdeutschen Landes die niedrigsten Investitionen im ganzen Bundesgebiet auf.

»Vor allem Kommunen mit hohen Sozialausgaben investieren deutlich weniger«, bilanziert DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Denn arme, strukturschwache Gemeinden sind häufig in einem Teufelskreislauf gefangen: Sie weisen hohe Arbeitslosenzahlen auf, weshalb ihre Sozialausgaben hoch sind und ihnen der finanzielle Spielraum für Investitionen fehlt, mit denen sie sich als Standort für Unternehmen attraktiver machen könnten. Auf der anderen Seite stehen Städte wie München mit niedriger Arbeitslosigkeit, die reichlich Geld haben, um in ihre Zukunft zu investieren. Nicht zufälligerweise müssen deshalb auch besonders überschuldete Städte viel Geld fürs Soziale ausgeben.

Fratzscher zufolge ist aus diesem Grunde die Politik gefragt. Eine Maßnahme, die armen Kommunen helfen könnte, wäre zum Beispiel, dass die Einnahmen der Gemeinden komplett im Länderfinanzausgleich angerechnet werden. Die Bundesländer würden dann mehr Geld für ihre finanzschwachen Gemeinden bekommen. Zudem könnte der Bund die Kommunen bei den Sozialausgaben entlasten, schlägt das DIW vor. Etwa elf Milliarden Euro pro Jahr geben diese für Unterbringung und Heizung aus. Würde Berlin diese Kosten übernehmen, wäre vielen finanzschwachen Kommunen geholfen. Finanziert werden könnte dies über Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag.

Diese Maßnahme würde keineswegs bedeuten, dass die neuen Bundesländer nicht mehr vom Solidaritätszuschlag profitieren würden. Denn die »Lücke zwischen Ost und West ist noch lange nicht geschlossen«, wie DIW-Forscher Ronny Freier meint. Drei von vier ostdeutschen Kreisen und kreisfreien Städten schaffen nicht den bundesweiten Durchschnitt von 270 Euro an Investitionen pro Einwohner. Insgesamt müssten die ostdeutschen Gemeinden rund 2,8 Milliarden Euro mehr investieren, um ein vergleichbares Niveau pro Einwohner wie in Bayern zu erreichen.

Das Sparen an Schulen und Straßen geht mittlerweile an die Substanz: Seit dem Jahr 1991 hat sich die Investitionsquote etwa halbiert. Seit der Jahrtausendwende reichen die kommunalen Investitionen nicht mehr aus, um die bestehende Infrastruktur zu erhalten beziehungsweise zu modernisieren. »Seither sind mehr als 46 Milliarden Euro im Bereich der Infrastruktur nicht mehr ersetzt worden«, sagt DIW-Investitionsexperte Claus Michelsen. Diese Summe ist die absolute notwendige Untergrenze, die die Kommunen brauchen. Fragt man sie, wie groß die Investitionen sind, die sie eigentlich bräuchten, wie es die staatliche KfW-Förderbank in ihrem alljährlichen Kommunalpanel macht, kommt eine noch viel größere Zahl heraus: 132 Milliarden Euro.

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