Thüringen lockert Abschiebestopp im Winter

Landesregierung setzt künftig auf Einzelfallprüfungen, um Härtefälle in der Kälte zu vermeiden / Entscheiden müssen die Landkreise

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Antritt von Rot-Rot-Grün in Thüringen war es ein Symbol: Der Freistaat verhängte im vergangenen Winter einen Abschiebestopp. Dieses Jahr wird es nichts Vergleichbares geben.

Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen wird in diesem Jahr keinen neuen Winterabschiebestopp verhängen. Nach Angaben von verschiedenen Vertretern der Landesregierung einigte sich das Kabinett von Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) bereits am Dienstag in Erfurt darauf, statt eines pauschalen Abschiebestopps darauf zu setzen, dass in jedem Einzelfall genau geprüft wird, ob Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, in den Wintermonaten gegen ihren Willen in ihre Heimatländer geschickt werden können. »Dazu stehe ich«, hatte Ramelow der »Thüringer Allgemeinen« gesagt. Landesmigrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) sagte am Mittwoch in Erfurt, die Landesregierung werde die Ausländerbehörden der Landkreise auffordern, bei solchen Prüfungen sehr sensibel vorzugehen. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass diese Aufforderung anders als ein Winterabschiebestopp keine rechtlich bindende Wirkung für diese Behörden haben werde. Die Entscheidung darüber, welche ausreisepflichtigen Flüchtlinge wann abgeschoben werden, liegt in Thüringen bei den Landkreisen.

Während Lauinger und auch der SPD-Landesvorsitzende Andreas Bausewein es ausdrücklich verteidigten, dass es keinen neuen Winterabschiebestopp in Thüringen geben wird, reagierten Vertreter der Linksfraktion im Landtag massiv verstimmt auf die Ankündigung der Landesregierung. Lauinger erläuterte, die Landesregierung könne nicht außer Acht lassen, dass die Aufnahmekapazitäten sowohl der Erstaufnahmeeinrichtungen als auch vieler kommunaler Unterkünfte nahezu oder bereits völlig ausgelastet seien. Bausewein sagte, es sei »wichtig, dass nun endlich auch durch den Ministerpräsidenten das Signal gesetzt wurde, dass wir bei allen Ausreisepflichtigen, deren Ausreise nicht freiwillig erfolgt, zu einer konsequenten Abschiebepolitik übergehen«. Die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber gehöre genauso zu einem rechtsstaatlichen Verfahren, wie auch die deutliche Verbesserung der Integrationsbemühungen bei den Menschen, die in Deutschland eine dauerhafte Bleibeperspektive hätten.

Die Linksfraktion ließ die Entscheidung der Landesregierung am Mittwoch lediglich durch einen Sprecher kommentieren. Er bestätigte, dass die meisten Mitglieder der Fraktion erst am Mittwoch von den Plänen der Landesregierung erfahren hatten - entweder aus der Zeitung oder als Ramelow in einer Fraktionssitzung die Entscheidung seiner Regierung erläuterte. Bislang habe sich die Fraktion inhaltlich dazu noch keine Meinung gebildet. Weitergehende Bewertungen könne er deshalb derzeit nicht abgeben. Man betrachte das bisher als eine Kabinettsentscheidung, sagte der Sprecher.

Die Verhängung eines Winterabschiebestopps Ende 2014 war von Rot-Rot-Grün als großer Akt einer humanitären Flüchtlingspolitik gefeiert worden. Vor allem die SPD hatte aber zuletzt darauf gedrungen, eine vergleichbare Verordnung dieses Jahr wegen der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen nicht erneut zu verhängen. Die LINKE hatte bis zuletzt darauf bestanden. Wie viele Menschen tatsächlich im Winter 2014/2015 von der Aussetzung von Abschiebungen unter anderem nach Afghanistan und ins Kosovo profitiert hatten, ist aufgrund der Komplexität der Asylverfahren nicht klar. Aus dem Migrationsministerium hieß es, ihre Zahl habe wohl bei etwa 150 gelegen.

Auch Schleswig-Holstein rückt in diesem Jahr von einer pauschalen Aussetzung der Abschiebungen in den Wintermonaten ab. Dies erklärte am Mittwoch ein Sprecher des Landesinnenministeriums in Kiel. Es solle aber geprüft werden, ob im Einzelfall eine individuelle Schutzbedürftigkeit gegeben sei, die sich aus temporären Witterungsbedingungen im Herkunftsstaat ergeben könne. Ähnlich wird Rheinland-Pfalz vorgehen: Abschiebungen können demnach befristet ausgesetzt werden, wenn diese eine »winterbedingte humanitäre Härte bedeuten würden«.

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