Flüchtlingslager als Druckmittel

Ankara verlangt Unterstützung für seinen Syrien-Kurs

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Türkei erwartet vom G20-Gipfeltreffen Rückenwind für ihre Politik in der Region. Doch nicht alle Ziele sind legitim.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan tut das, was alle Gipfelgastgeber tun: Er will die Gelegenheit nutzen, um - auch öffentlich geäußerte - Unterstützung für seine politischen Vorhaben einzufordern. Dabei geht es vor allem um die türkische Politik gegenüber dem Nachbarland Syrien und den Umgang im eigenen Land mit den Kurden. Medien, die bekannt dafür sind, ihm nicht zu Füßen zu liegen, haben da gefälligst zu schweigen. Das bekamen einige schon vor der Parlamentswahl am 1. November zu spüren, und das wiederholt sich jetzt vor dem Gipfel. Einige Medien werden entgegen ihrem Wunsch nicht oder nur begrenzt zum Gipfel in Antalya zugelassen. So erhielten die Redaktionen der Istanbuler Zeitung »Zaman«, des englischsprachigen Schwesterblattes »Today's Zaman« und der Zeitung »Sözcü« keine Antwort auf ihre Akkreditierungsanträge. Das sei »Zensur«, erklären die Redaktionen. Ein Sprecher der Nachrichtenagentur Cihan sagte, nur zwei ihrer Reporter seien akkreditiert worden, obwohl man mehr Anträge gestellt habe. Hier geht es wohl in erste Linie um eine Retourkutsche auf die verhaltene Kritik an Erdogans Kurdenpolitik, die wieder auf Repression statt Dialog setzt.

Kläglich gescheitert ist in der Vergangenheit das Bestreben, die Regierung in Damaskus mit einer Militärintervention zu stürzen. Erdogan hätte als Aufmarschbasis gern türkisches Territorium zur Verfügung gestellt, aber USA-Präsident Barack Obama war 2013 für ein neues militärisches Nahostabenteuer nicht zu gewinnen und sein französischer Amtskollege François Hollande wollte wohl gern, ist aber allein zu schwach. Syrien ist nicht Mali.

Erdogan wagt aber einen neuen Versuch. Kurz vor Gipfelbeginn brachte er die Idee einer »Schutzzone für Flüchtlinge in Syrien« wieder aufs Tapet; wobei die Betonung auf »in Syrien« liegt. Dafür seien »eine vom Terrorismus gereinigte Region« und eine Flugverbotszone notwendig. Wer die Terroristen sind, wurde aus durchschaubarer Absicht nicht näher definiert. Die Flugverbotszone beträfe allein die Regierungsstreitmacht. Es wäre also eine Art libysches Szenario, mit dem vorbestimmten Ende des Herrschers in Damaskus.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu lässt daran auch gar keinen Zweifel. »Wir brauchen eine integrierte Strategie mit Luftangriffen und Bodentruppen. Aber die Türkei kann das nicht alleine bewältigen. Wenn es eine Koalition und solch eine sehr gut konzipierte Strategie gibt, ist die Türkei bereit, sich darin in jedem Sinne zu beteiligen«, sagte er in Antalya gegenüber CNN. Wenn man Syrien als Thema beim G20-Gipfel aufruft, wird er diesen Standpunkt wiederholen. Doch da nun mit Russland eine Großmacht direkt auf der Seite von Präsident Baschar al-Assad mitmischt, dürfte Davutoglus Wunsch noch weniger potente Befürworter haben. Moskau sah sich in Libyen hereingelegt und wird der Flugverbotszone auf keinen Fall in der Form zustimmen, wie sie der Türkei vorschwebt.

Das wissen auch Davutoglu und Erdogan und haben entsprechende Kompensationswünsche. Mit den Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen hat Ankara fraglos hohe Aufwendungen. Für ihre »Hilfsbereitschaft« ist die Türkei, obwohl sie an Krieg und damit Flüchtlingselend in Syrien keineswegs unschuldig ist, schon vor Antalya international gelobt worden. 1,8 Millionen Syrer sollen sich derzeit im Lande aufhalten. Nach eigener Zählung habe die Türkei sogar 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

Allerdings lebt nicht einmal jeder siebte dieser Syrer in Lagern, wo sich der Staat kümmern müsste. Die Mehrheit der Flüchtlinge schlägt sich in Städten im Südosten der Türkei oder Istanbul durch. Ankara gewährt Syrern bewusst keinen Flüchtlingsstatus, sondern nur »vorübergehenden Schutz«. Legal arbeiten dürfen sie damit nicht. Allerdings dulden die Behörden in der Regel, wenn sie auf dem Bau oder in der Gastronomie schwarz arbeiten - weit unterhalb türkischer Löhne. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gehen zwei Drittel der syrischen Flüchtlingskinder in der Türkei nicht zur Schule, obwohl ihnen der Besuch staatlicher Einrichtungen seit September 2014 erlaubt ist.

Nun will die Regierung in Ankara für ein Entgegenkommen bei der Flüchtlingsbetreuung Zugeständnisse sehen. In Rede stehen eine finanzielle EU-Unterstützung in Höhe von etwa drei Milliarden Euro, für türkische Staatsbürger die visafreie Einreise in den Schengen-Raum und nicht zuletzt deutliche Fortschritte im EU-Beitrittsprozess.

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