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Die drei Fronten des Recep Tayyip Erdogan

Auf dem G20-Gipfel dürfte der türkische Präsident nach seinem Beitrag im Kampf gegen den IS gefragt werden

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.
Der seit Sonntag in der Türkei tagende G20-Gipfel wird nun gleichfalls von einer Debatte um den Kampf gegen den Terror geprägt.

Dass nun, anders als geplant, der Kampf gegen den Terrorismus einen breiten Raum auf dem G20-Gipfel in Antalya einnimmt, kam dem Gastgeber Recep Tayyip Erdogan gerade recht. Zum Auftakt des Spitzentreffens rief der türkische Staatspräsident zur Bildung einer gemeinsamen Plattform gegen den Terrorismus auf. Es gebe einen »kollektiven Terrorismus«, der bekämpft werden müsse. Was Erdogan mit »kollektivem Terrorismus« meint, wird wohl außerhalb der Türkei kaum jemand auf Anhieb verstehen. Hintergrund ist die These, dass die Dschihadisten-gruppe Islamischer Staat (IS) und andere von der Türkei als Terroristen bekämpfte Gruppen in Wirklichkeit zusammenarbeiten. Den Antiterrorkrieg führt Erdogan derzeit nämlich an insgesamt drei Fronten.

Gegen den IS geht es indes trotz der Anschläge von Ankara (102 Tote) und von Suruc (33 Tote) mit eher abgebremster Kraft. Pünktlich zum Gipfeltermin nahm die Polizei aber auch ein paar IS-Verdächtige fest, wobei es dabei zu einer Schießerei kam und ein Verdächtiger sich in die Luft sprengte.

Die zweite Front ist die gegen die Kurdische Arbeiterpartei PKK und alles, was in diese Ecke gestellt werden kann. Wie das erfolgt, kann man in einigen zerschossenen Städten im Südosten des Landes besichtigen. Gäbe es in der Türkei tatsächlich so viele bewaffnete Rebellen wie zerschossene Häuser, wäre sie wirklich nahe am Bürgerkrieg. Das jüngste Beispiel ist die Stadt Silvan, die zwölf Tage unter Beschuss lag. An die Wände der Häuser haben die »Sicherheitskräfte« Parolen geschrieben wie »Wenn du ein Türke bist, dann lebe, wenn nicht, dann gehorche!« und »Team der Löwen Allahs!« Das Wendung »Löwen Allahs«, auf Arabisch »Esedullah«, ist den Kurden bekannt, es stand auch an einigen Wänden in Kobane, als sie gegen den IS kämpften.

Die dritte Front ist gerichtet gegen den sogenannten Parallelstaat, d. h. gegen die mutmaßlichen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen in Justiz, Polizei und in den Medien.

So weit die drei Fronten, gegen die Erdogan seinen Antiterrorkrieg führt und ganz nebenbei fallen, wo gehobelt wird, nun auch mal Späne. So werden auch andere oppositionelle Medien und die prokurdische Partei der Demokratie der Völker HDP ebenfalls unterdrückt.

Im letzten Fortschrittsbericht der Europäischen Union war vom Druck auf Medien und Opposition einiges zu lesen, wenn auch diplomatisch vorsichtig formuliert, schließlich meint man ja, Erdogans Hilfe in der Flüchtlingsfrage zu benötigen.

Die inneren Demokratiedefizite dürften es jedoch nicht sein, weswegen sich Erdogan hinter verschlossenen Türen wird Kritik anhören müssen bei G20-Gipfel, sondern die noch immer laxe Art im Umgang mit dem IS. Nach den blutigen Anschlägen in Paris könnte die Türkei deshalb in die Enge getrieben werden, meint der türkische Experte für Außenpolitik Cengiz Candar. Dass US-Präsident Barack Obama nach seinem Treffen mit Erdogan betonte, dass der IS an der Grenze der Türkei stehe, kann man ebenfalls als diplomatischen Hinweis darauf deuten, dass Ankara mehr tun sollte. Doch abgesehen von politisch-taktischen Überlegungen kann man sich fragen, welche Priorität der Kampf gegen den IS in Erdogans islamistisch gefärbter Umgebung haben kann. Als nach den Anschlägen im Januar auf die Zeitschrift »Charlie Hebdo« in Paris der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in die französische Hauptstadt reiste, wurde er von Erdogan deshalb öffentlich gerügt. Der Leiter des staatlichen Amtes für Religionsangelegenheiten, Professor Mehmet Görmez, schwadronierte davon, dass sich die Welt da wegen zwölf Toten - er zählte nur die nichtjüdischen Opfer - errege, während in den letzten zehn Jahren zwölf Millionen Muslime getötet worden seien, nur, weil sie Muslime seien. Woher er seine Zahlen nahm, brauchte Görmez niemandem zu erklären, denn niemand fragte ihn danach. Vor wenigen Tagen wurde er im Amt bestätigt.

An die Teilnehmer des Gipfels schrieb Görmez nun einen wortreichen Brief, in dem er rhetorisch fragte, wie denn die »Militanten« so weit gebracht wurden. Das in der Türkei sonst so beliebte Wort »Terroristen« verwendete er nicht und schuld waren letztlich mal wieder andere.

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