»Lügenpresse« ist ernster Vorwurf

Hans-Martin Tillack: Journalisten dürfen Unmut über Medien nicht vom Tisch wischen

  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Tillack, das Thema des Lobbyismus tritt in Deutschland gerade etwas hinter andere Themen zurück. In Ihrem Buch »Die Lobby-Republik« kommen Sie allerdings zum Schluss, dass die Ohnmacht der Regierten auch eine Folge des Lobbyismus ist. Diese zeigt sich womöglich auch bei den Demonstrationen der Pegida. Was wiederum ein sehr aktuelles Thema ist.
Eine direkte Verbindung des Lobbyismus zu den Pegida-Demonstranten sehe ich nicht. Auch der Vorwurf der »Lügenpresse«, der auf Pegida-Versammlungen erhoben wird, ist unangemessen. Aber Kritik an uns Journalisten dürfen wir nicht einfach vom Tisch wischen. Das Gefühl, von Partikularinteressen gelenkt zu werden statt vom Gemeinwohl, ist ein in der Bevölkerung weit verbreitetes. Und dieses hat sehr viel mit der Beobachtung zu tun, dass es natürlich Verflechtungen auch von Journalisten mit der Berliner Politik gibt. Und dass es natürlich auch die Wirtschaft schafft, Einfluss zu nehmen auf die Berichterstattung der Medien.

Der Vorwurf ist allerdings meist diffus, es ist selten einfach, in journalistischen Berichten einen direkten Einfluss zu identifizieren. Eine Tendenz schon eher.
Es geht um mehrere Ebenen. In meinem Buch finden sich viele Beispiele des Wechsels von Personen aus den Medien in die Lobbyindustrie. Und umgekehrt. Natürlich ist es für den Verbraucher nicht einfach, dies zu durchschauen. Aber der Einfluss beginnt ja schon früher. Damit etwa, dass Journalisten, die ihren Zugang zu bestimmten Quellen erhalten oder diese bewahren möchten, halt etwas freundlicher berichten.

Sind die Medien das Problem? Im Interessenkonglomerat von Politik, Wirtschaft und Medien gibt es auch so etwas wie Koch und Kellner.
Es ist für das Gemeinwesen natürlich folgenschwerer, wenn Regierungsangehörige ins Lobbylager wechseln und mit ihrem Fachwissen und ihren Kontakten Einfluss auf politische Prozesse nehmen. Weil sie als Regierungsvertreter direkten Einfluss auf das Leben von uns allen nehmen, weil sie deren Regeln festlegen. Einen solchen Einfluss haben die Medien nicht.

Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie Lobbyismus einseitig den Interessenverbänden der Wirtschaft vorwerfen. Und dass Sie Nichtregierungsorganisationen schonen.
Ich habe mich auf den Lobbyismus der Wirtschaft konzentriert, das gebe ich gern zu. Und zwar deshalb, weil die Wirtschaft häufig den Weg außerhalb der Öffentlichkeit sucht. Es gibt Ausnahmen, aber normalerweise läuft Lobbying im Interesse der Wirtschaft im Verborgenen. Nichtregierungsorganisationen suchen eher die Öffentlichkeit. Sie sind viel mehr von dieser abhängig und verstärken ihre Argumente mit ihrer Hilfe statt mit direktem, auch materiellen Einfluss. Ihr Kapital ist die Orientierung am Gemeinwohl, zumindest, wie sie es definieren.

Ist Ihnen nach Veröffentlichung des Buches der Vorwurf gemacht worden, Nestbeschmutzer zu sein? Sie haben namentlich Kollegen genannt, die in Medien wie in der Lobbybranche zu Hause sind.
Das hat mir so gut wie niemand vorgeworfen. Ich habe auf die Durchlässigkeit des Mediensektors in Berlin hingewiesen, mit vielen Beispielen, das stimmt. Pauschalurteile treffe ich nicht, sie sind auch nicht angemessen.

Sind Sie nicht auch Lobbyist - in eigener Sache? Etwa in Interviews, in denen es um Ihr Buch geht?
Natürlich vertreten wir alle unsere Interessen. Und wer ein Buch geschrieben hat, möchte, dass es gelesen wird. Aber wirkliches Lobbying wird meist hinter dem Vorhang betrieben, nicht auf offener Bühne.

Begegnen die Bundestagsparteien dem Thema mit unterschiedlicher Aufgeschlossenheit?
Das kann man schon sagen. Die LINKE, die bei der Wirtschaft weniger beliebt ist als die anderen Parteien, hat es sich verboten, Spenden anzunehmen. Allerdings sind auch Linkspolitiker nicht immun gegen die Versuchungen des Lobbyismus. Als Gregor Gysi namens zweier Immobiliengesellschaften, die er anwaltlich vertrat, Kontakte zur Brandenburger Landesregierung herstellen wollte, war dies auch Kollegen in der Landesregierung unangenehm, wie man hörte.

Haben Sie schon mal ein Angebot aus der Lobbyindustrie erhalten; als Fachmann, sozusagen?
Ein Angebot als Pressesprecher habe ich mal abgelehnt.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Gesine Lötzsch für ihren Wahlkampf um ein Direktmandat im Bundestag auch private Mittel eingesetzt habe. Worin besteht hier der Lobbyismus?
Wahlkampf ist sehr teuer. Da die Linken keine Spenden annehmen dürfen, ist die Gefahr hier sicher gering. Abgeordnete etwa der CDU geben in solchen Fällen schon mal bis zu 90 000 Euro aus und finanzieren dies auch aus Spenden der Wirtschaft. Da besteht natürlich die Gefahr, dass die Spender anschließend Einfluss auf den Abgeordneten nehmen wollen.

nd-Interview: Uwe Kalbe

Hans-Martin Tillack ist am Mittwoch Gast von Gesine Lötzsch in ihrer Gesprächsreihe geDrucktes, 18.00 Uhr im Karl-Liebknecht-Haus, Kleine Alexanderstraße 28 in Berlin. Sein Buch von der Lobby-Republik erschien 2015 bei Hanser Berlin, 24,90 Euro, 349 Seiten

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