Die Macht der Nacht

Im Kino: «Mia Madre»

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Mein Schnurrbart juckt!«, beschwert sich der amerikanische Starschauspieler Barry (John Turturro). Das angeklebte Requisit dient allerdings nur als lahme Ausrede dafür, dass er seine Dialoge ständig vergisst und sein Italienisch mangelhaft ist. Irgendwann brüllt ihn Margherita, die italienische Regisseurin, die den Akteur aus Hollywood engagiert hat, total genervt an. Eine Null sei er und mit Stanley Kubrick habe er auch nie gedreht, auch wenn er das immer behaupte.

Denn Margherita (Margherita Buy) hat zur Zeit ganz andere Sorgen. Ihre Mutter Ada (Giulia Lazzarini), eine gütige ehemalige Lateinlehrerin, liegt im Sterben. Und Margherita selbst muss einen Film über den Arbeitskampf einer Fabrikbelegschaft drehen und kann sich nicht genug um Ada kümmern. Ihr Bruder Giovanni dagegen umsorgt die Mutter täglich im Krankenhaus, sogar mit selbstgemachter Pasta.

So gestaltet sich die Ausgangslage in Nanni Morettis neuem Film »Mia Madre«. Wie so oft bei dem italienischen Meisterregisseur ist viel Persönliches in sein Werk eingeflossen. So kann man Margherita als sein Alter Ego begreifen und die Figur des - fast schon unfehlbaren - Giovanni (den der Regisseur selbst spielt) als den gewollt unrealistisch idealen Sohn. Auch den Tod seiner eigenen Mutter vor fünf Jahren, als er gerade in den Dreharbeiten zu seinem Film »Habemus Papam« steckte, verarbeitet er mit diesem mal melancholischen, mal komischen Film, der das Publikum bei seiner Premiere in Cannes zu einer zehnminütigen Standing Ovation verleitete.

Am selben Ort gewann Moretti 2001 die Goldene Palme für seinen ersten Film, der die Trauer zum Gegenstand hatte: »Das Zimmer des Sohnes«. Und wie in jenem Werk gelingt es Moretti auch in »Mia Madre«, Gemütslagen sensibel auszuleuchten, seine Figuren zwischen Niedergeschlagenheit, Mitgefühl, Kontrollverlust und Tapferkeit schwanken zu lassen. Der Film im Film schafft Distanz. Eine Distanz, welche die Heldin Margherita charakterisiert, ihre Unsicherheit im professionellen wie privaten Leben zeigt und Sentimentalität und Lebensweisheiten, wie sie Hollywood-Filme so gern verkünden, von sich weist.

Margherita träumt schlecht, tobt die albtraumhafte Situation ihres Lebens so richtig erst in ihren Nächten aus. Tagsüber will sie die bittere Diagnose der Ärzte nicht wahrhaben, nachts drängen alle Verlustängste mit Macht in ihr Bewusstsein. Geschickt alterniert Moretti die Realität ihres - übrigens auch sehr realistischen - Films mit Traumsequenzen, Anspielungen an seine eigenen Filme und den Film per se (einmal stehen Bruder und Schwester vor einem Kino, in dem Wim Wenders’ »Himmel über Berlin« gezeigt wird), und bricht die Tragik immer wieder mit Humor auf.

Dafür springt vor allem John Turturro in die Bresche. Man muss schon ein verdammt guter Schauspieler sein, um einen schlechten mit so viel Herzblut zu spielen. Und wenn Barry schließlich - diesmal ohne Schnurrbart - an seinem Geburtstag ein Tänzchen aufführt, ist das so anrührend komisch und traurig wie dieser Film selbst.

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