Offener Brief

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Sehr geehrter Spielhallenbetreiber,

ich finde nicht, dass Ihre Filialen einladend aussehen. Es wird gesagt, man würde regelrecht verführt, wenn durch die geöffnete Tür die Kling-Klang-Musik zur Straße hinaus klänge und in den Schaufenstern mit irrem Blinky-Blinky geworben wird. Ich spaziere gelangweilt weiter, wegen der zugeklebten Glasfront mit den lachenden Mondgesichtern und den hüpfenden Münzen. Lassen Sie die Sonne rein, oder ersetzen Sie ein Siegersymbol der Ehrlichkeit halber durch einen Stinkefinger. Ihre Werbung verspricht Spiel und Spaß, doch Ihre Gäste sehen nicht wie Gewinner aus. Sie dagegen verlassen Ihre Filiale mit einem gut gefüllten Klimpergeldkoffer; immerhin ohne meine Beiträge, denn ich kann bei Ihren Käsekästchenautomaten keinen Ehrgeiz entwickeln.

Doch ich gebe es zu: Ich war während der Wendesaison 1989/90 dreimal für eine halbe Stunde in einer Ihrer Filialen. Micha war ein Technikfreak, er hatte seinem Bruder und mir eingeredet, er könne mit einem Gerät die Automaten abhören, wie sie rauschen und klappern, und wann sie das Geld ausspucken. Und falls Michas Gerät die technischen Geheimnisse nicht schnell genug lösen würde, wäre er entschlossen, dem Automaten einen Impuls mit dem Fuß zu geben. Sein Bruder und ich, wir wären seine Leibgarde, beschloss er kurzerhand. Wir würden die Spielhallen der Hauptstadt plündern.

Aber es fiel schon auf, wenn wir Ihre Filiale wie ein Gaunertrio betraten; gar nicht so einzelgängerisch wie die Puffbesucher. Aber das wussten die Brüder und ich nicht, weil wir Ihren Puff auch per Polonaise betreten hatten, und nicht nur das, wir waren mindestens doppelt so zahlenstark vertreten und hatten einige Frauen dabei. Da mussten Sie als geborener Westler natürlich denken: Oh je, diese Zonies, die sind noch so unbefangen, aber schon geschäftsschädigend.

Jedenfalls war es uns während der Wendesaison nicht möglich, Ihre Spielhalle zu plündern. Micha hantierte in untypischer Körperhaltung am Automaten herum, was Ihrem Mitarbeiter auffiel. Wir haben nichts verdient, nur verloren. Bei mir waren es dreimal eine Mark für Bier.

Über unseren Rausschmiss will ich mich nicht beschweren, der Moment war spannend. Ansonsten Langeweile pur. Glücksspiel ist eine Einsiedlerbeschäftigung. Die Typen, die vor den Automaten abhingen, sahen aus, als ob sie gerne Hüttchenspieler wären, aber nicht wussten, wie sie den Sprung in deren Szene schaffen sollten. Vielleicht über eine Liebesaffäre an der slowakisch-ungarischen Grenze, dort wo ich meine inzwischen verschollenen Brüder vermute.

Geehrter Spielhallenbetreiber, Sie sollten Ihre Filialen lüften und einige Mädchen organisieren, die dauernd lachend ein- und ausspazieren.

Hochachtungsvoll, ich.

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