Zwanzig Jahre Siechtum

Die EU-Mittelmeer-Partnerschaft hat einen Geburtsfehler: Niemand will sie

Bescheiden fielen sie aus, die Feierlichkeiten zum 20. Gründungsjubiläum der euro-mediterranen Partnerschaft. Zwar beschwor Federica Mogherini, die Brüsseler Hohe Vertreterin für Außenpolitik, auf einer Konferenz in Barcelona die »gemeinsamen Herausforderungen wie Terrorismus, Radikalisierung und Migration«, vor denen die Staaten im Süden und Norden stünden. Lobeshymnen auf das am 28. November 1995 geschlossene Bündnis hatte die Vizechefin der EU-Kommission allerdings nicht im Gepäck. Belegen doch gerade die Flüchtlingskrise und die Anschläge dies- und jenseits des Mittelmeers, dass eines der zentralen Ziele der Partnerschaft - nämlich die »Schaffung eines Raumes des Friedens, der Stabilität und des gemeinsamen Wohlstandes« - noch immer in weiter Ferne liegt. Vor zwei Jahrzehnten aber hatten sich die damals noch 15 EU-Mitglieder sowie zwölf arabische und afrikanische Mittelmeeranrainerstaaten bei der Schaffung von EUROMED genau dies auf die Fahne geschrieben.

Dass mit EUROMED wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Aspekte zusammengebunden wurden, war nicht nur ein Neuaufbruch in den Staatenbeziehungen rund um das Mittelmeer, sondern zugleich eine Zäsur im bis dato von Freihandelsideen und europäischem Sendungsbewusstsein geprägten Annäherungsprozess. Die Runde der Außenminister und EU-Vertreter, die sich in Barcelona versammelt hatte, glaubte zudem, mit dem Helsinki-Prozess ein probates Instrument der Zusammenarbeit und des »System Change« in der Hand zu haben. Galt doch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht wenigen als erfolgreiches Modell auch zur gesellschaftspolitischen Veränderung.

Folglich waren auch die Ziele von EUROMED in »Körbe« aufgeteilt: Im ersten fanden sich Aspekte der politischen und Sicherheitspartnerschaft - ausdrücklich übrigens mit dem Ziel der Beachtung der Menschenrechte, des Pluralismus und der gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus. Korb II war der Wirtschafts- und Finanzkooperation gewidmet, die insbesondere der Verbesserung der Lebensbedingungen und Reduzierung des Nord-Süd-Gefälles dienen sollte. Die dritte Säule schließlich sah die Partnerschaft der Zivilgesellschaften und den Dialog der Kulturen vor.

Dass die Ziele von Barcelona nicht annähernd erreicht wurden, liegt vor allem daran, dass die politische Dimension der Annäherung nahezu komplett ausgeblendet wurde. Die EU konnte mit den Autokratien im Süden gut leben, zeigten sich diese doch weitgehend bereit, die Interessen der Länder im Norden, vor allem bei der »Steuerung« der Einwanderung nach Europa, durchzusetzen. Dafür drückte die EU bei Demokratieentwicklung und Menschenrechten mehr als ein Auge zu. So wurden beispielsweise mit fadenscheinigen Begründungen Projektpartner in Ägypten fallen gelassen, weil diese in Konflikt mit der Regierung in Kairo gerieten. »Die EU nimmt diese Fehlentwicklungen in Kauf, weil man die Kooperation mit den Mittelmeerdrittländern im Kampf gegen einen Terrorismus … für unverzichtbar hält«, heißt es in einer Bilanz zu zehn Jahren EUROMED der Politikprofessorin Annette Jünemann von der Helmut-Schmidt-Universität. Für ihre Handlangertätigkeit wurden die südlichen Mittelmeeranrainer gut entlohnt: Reichlich flossen Brüsseler Fördergelder, allein von 2000 bis 2007 etwa sechs Milliarden Euro.

Nicht zuletzt waren die Blöcke selbst hinsichtlich der Umsetzung der Ziele zerstritten. Gerade für die Nordeuropäer, ebenso wie für Deutschland, steckte in EUROMED zu viel Frankreich. Ohnehin war die EU für Paris vor allem Instrument, um eigene Interessen in der Region durchzusetzen; die Versuche, andere Mitgliedsstaaten bei der Mittelmeerstrategie außen vor zu lassen, waren offensichtlich. Die südlichen Mittelmeerländer ihrerseits blockierten nahezu alle Vorhaben, in die Israel einbezogen war - sowohl hinsichtlich gemeinsamer Projekte mit der EU als auch untereinander. Frank Baasner vom deutsch-französischen Institut Ludwigsburg konstatierte nüchtern: »Es gibt zwischen den Maghreb-Staaten keinen konstruktiven Dialog, dafür aber geschlossene Grenzen.«

Aber auch die Neuauflage der Partnerschaft nach 13 Jahren faktischen Stillstands floppte. Und abermals lag dies nicht zuletzt an Paris. Die Umwandlung von EUROMED zur Mittelmeerunion sollte ein Prestigeprojekt des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy werden. Aber schon auf dem Gründungsgipfel im Juli 2008 erteilten die EU-Partner Monsieur le Président eine Abfuhr: Er durfte der Gemeinschaft nur ein paar Monate statt der gewünschten zwei Jahre vorstehen. Zudem bestanden sie darauf, dass nicht nur weitere Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens, sondern auch alle EU-Mitglieder der Mittelmeerunion angehören sollten. Die Geburtsfehler von EUROMED wurden damit nicht kuriert, sondern noch verstärkt. So stand die Mittelmeerunion solchen Themen wie dem Arabischen Frühling oder der aktuellen Flüchtlingskrise praktisch sprach- und tatenlos gegenüber.

Dabei ließe sich die Mittelmeerunion durchaus aktivieren, verfügt sie doch über einen Konferenzmechanismus und administrative Strukturen. Angesichts der rein deklamatorischen Äußerungen auf der Jubiläumskonferenz scheint allerdings niemand an eine Wiederbelebung zu glauben.

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