Auf der schiefen Bahn

Warum sich Erde und Mond auf gegeneinander geneigten Ebenen bewegen. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Frage nach der Entstehung des Mondes wird in der Astronomie heute so beantwortet: Vor etwa 4,5 Milliarden Jahren kollidierte ein etwa marsgroßer Himmelskörper mit der Erde. Bei diesem »Giant Impact« wurden riesige Materiemengen in eine Erdumlaufbahn geschleudert. Sie ballten sich dort zusammen und formten so den Mond.

Laut diesem Modell sammelte sich das abgesprengte irdische Material in der Äquatorebene der Erde, in der mithin auch der frühe Mond kreiste. Später kippte die Ebene der Mondbahn durch starke Gezeitenkräfte in die Ekliptik, das heißt die Bahnebene der Erde um die Sonne, von der sie laut Berechnungen nur um maximal 0,5 Grad abweichen dürfte. In Wirklichkeit jedoch ist die Bahn des Mondes um 5,15 Grad gegen die Ekliptik geneigt. Für diesen Widerspruch, der in der Astronomie auch als Inklinationsproblem (von lateinisch inclina᠆tio = Neigung) bekannt ist, gab es bisher keine befriedigende Erklärung.

Auch der Versuch, die starke Neigung auf eine Schwerkraftresonanz des neugebildeten Mondes mit der Sonne oder übrig gebliebenen Resten des Trümmerrings zurückzuführen, führte nicht zum gewünschten Erfolg. Nun jedoch haben Kaveh Pahlevan und Alessandro Morbidelli vom Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza mittels Computersimulation eine überraschende Lösung des Inklinationsproblems gefunden. Danach wurde die Mondbahn durch die Gravitationswirkung sogenannter Planetesimale aus ihrer ursprünglichen Lage gekippt. Planetesimale sind Zusammenballungen von Materie, die einen Durchmesser von vielen Kilometern erreichen können und zur Bildung von Planeten beitragen.

Wenige zehn Millionen Jahre nach der Entstehung des Mondes, so berichten die Forscher im Fachblatt »Nature« (Bd. 527, S. 492), hätten ein paar Planetesimale mit einer Gesamtmasse von rund einem Prozent der Erdmasse ausgereicht, um die Mondbahn sukzessive zu kippen. Denn zu jener Zeit war das Erde-Mond-System so beschaffen, dass es extrem sensibel auf äußere Einflüsse reagierte. In der Computersimulation von Pahlevan und Morbidelli zogen die Planetesimale mehrere tausend Male am Mond vorbei, bevor sie auf die Erde stürzten. Unter diesen Bedingungen ergibt sich tatsächlich die heutige Bahnneigung des Mondes, und zwar als wahrscheinlichster Wert unter mehreren möglichen.

Das neue Modell macht überdies plausibel, warum die Venus keinen Mond besitzt. In der Frühzeit des Sonnensystems flogen in deren Umgebung noch viele Planetesimale umher. Jeder damals gebildete Venus-Trabant wäre durch Begegnungen mit diesen Planetenembryos wieder aus der Bahn geworfen worden, so die Forscher. Dagegen entstand unser Mond mit Verspätung, nämlich zu einer Zeit, als es nur noch relativ wenige Planetesimale in der Erdumgebung gab. »So wie das Überleben von Planeten von ihrer stellaren Umgebung abhängt, hängt auch das Überleben von Monden, die durch einen Impakt erzeugt werden, von der planetaren Umgebung zur Zeit ihrer Entstehung ab.«

In einem »Nature«-Kommentar weist die US-Astrophysikerin Robin Canup darauf hin, dass das neue Modell auch das Vorkommen von Metallen wie Gold und Platin auf der Erde erklären kann. Diese Elemente sind siderophil, das heißt »Eisen liebend«. Folglich sanken sie früh mit dem Eisen in den flüssigen Erdkern hinab. Erst die später abgestürzten Planetesimale brachten erneut Gold und Platin auf die Erde und reicherten damit das Gestein an.

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