Der Braten lebt noch!

»Die Weihnachtsgans Auguste« im Jungen Staatstheater Berlin

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Ach, du liebe Zeit! Vater Löwenhaupt kündigt eine Überraschung an. Alle im Haus verdrehen die Augen. Wahrscheinlich sollte man bei derartigen Ereignissen besser nicht anwesend sein. Aber Opernsänger Luitpold Löwenhaupt, der sich brüstet, die Stimmlagen Tenor, Sopran und Bassbariton gleichsam vortrefflich zu beherrschen, nimmt die Reaktion in seiner Begeisterung gar nicht wahr. Und schon offeriert er seine Gabe: eine Weihnachtsgans vom Markt. Einen fetten Schmaus soll sie abgeben. »Der Braten lebt noch!« ruft die Familie verblüfft aus.

»Die Weihnachtsgans Auguste«, 1946 vom Schriftsteller, Kommunisten und laut Theater auch bekennenden Vegetarier Friedrich Wolf erfunden, ist ein Star. Ihre Geschichte ist so hinreißend, dass Generation für Generation sie begeistert aufnimmt. Die Bühnenfassung von Katrin Hentschel, Oberspielleiterin des Jungen Staatstheaters Berlin, wird der Geschichte mit Humor gerecht. Es ist eine Komödie - Hentschel spielt’s aus.

Ihre einstündige Inszenierung für Menschen ab fünf Jahren in der temporären Spielstätte Prater in der Kastanienallee ist von Übermut geprägt und konzentriert sich aufs Wesentliche. Zu Beginn wirkt es so, als schütte man die handelnden Figuren auf die Bühne. Sofort wird klar, dass es sich hier um eine ulkige Künstlerfamilie handelt. Auch die Spielfreude der Darsteller ist sofort deutlich und schließt den mit Akkordeon begleitenden Musiker Kruisko von den »17 Hippies« ein.

In dieser Stückfassung ist Peterle (Kinga Schmidt) einziges Kind im Haus. Dafür taucht ein Eisbär (Camilla Cecile Körner) zusätzlich auf. Er sorgt dafür, dass es auf der Bühne »schneit«. Die Erzählerrolle übernimmt Thomas Pasieka und gibt glaubhaft als Dienstmädchen Therese die komische Provinzlerin ab. Mirja Henking stolziert als Mutter Löwenhaupt schön herum. Bleiben noch Vater und Gans - beide von Jakob Kraze herrlich gespielt. Kraze verkörperte in der »Dschungelbuch«-Inszenierung des Jungen Staatstheaters an der Parkaue schon einen Tiger. Man muss es ihm lassen: Wenn er zum Tier wird, wird er zum Tier. Herrlich faucht er die ihn beäugende fleischfressende Familie an. Einzig Peterle vertraut die Gans. Er gibt ihr den Namen Auguste.

Mit dem Fortgang der Geschichte nehmen die Turbulenzen zu. Es kommt zur Löwenhauptschen Gänsejagd. Die Gans siegt. Blitzschnell muss sich da Kraze von der einen Figur in die andere verwandeln. Bühnenbild und Kostüm von Michaela Barth zeigen erkennbar Konsens zur Regie und bieten dafür gute Voraussetzung. Die Kiste, in der die Gans ins Haus kommt, wird aufgeklappt zum Wohnzimmer und ist gut zu umjagen.

Nach der Premiere gingen alle fröhlich. Letzter Anstoß dafür waren wohl die Geschenke, die sich Familie Löwenhaupt samt Auguste zum Weihnachtsfest auspackt. Fürs Publikum kann das Stück kein schöneres sein.

Nächste Vorstellungen: 8., 9. und 15. bis 27.Dezember (außer 24.), Kastanienallee 7, Prenzlauer Berg

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