Tod im Cocktailglas

Keith Warner inszenierte in Dresden die Europäische Erstaufführung von John Harbisons Oper »The Great Gatsby«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Komponist kann man es keinem recht machen. Klingt eine Neuschöpfung wirklich neu und radikal anders, durchbricht sie Konventionen und lässt alles Bewährte hinter sich, tippt sie nur an, was dem Hörer vertraut vorkommen könnte, dann bekundet die Fachwelt Freude. Das Publikum aber würdigt die Anstrengung und geht dann doch lieber wieder zu Mozart oder Wagner oder schlürft barocke Kostbarkeiten. Schert sich indessen ein Komponist nicht um die Avantgardegebote des Neuen auf Teufel komm raus, schreibt er Arien, gibt zu, dass ihm Zitate näher liegen als Neuerfindungen, lässt er das Orchester gar melodisch schwelgen und das Parlando umschmeicheln, dann ist es auch wieder nicht recht. Dann kommt der Vorwurf, alles klinge irgendwie altmodisch und sei nicht wirklich neu. Wer Glück hat (oder tatsächlich genial ist) liegt irgendwo dazwischen.

Der US-Amerikaner John Harbison fällt mit seiner Oper »The Great Gatsby« mehr in die zweite Kategorie. Der Semperoper in Dresden kommt mit ihrer jüngsten europäischen Erstaufführung des 16 Jahre alten Werkes das Verdienst zu, dass man sich darüber jetzt hierzulande eine Meinung bilden kann. Im Dezember 1999 soll es die letzte Uraufführung des 20. Jahrhunderts gewesen sein. Und man muss nicht gleich mit Namen wie Puccini, Strauss oder Schreker, Schostakowitsch oder Janaček, Henze oder Lachenmann kommen, um den Stellenwert dieses musikalischen Gewächses aus der Neuen Welt auf den hinteren Plätzen der Annalen des Jahrhunderts zu verorten. Dabei bewährt sich Harbison durchaus als handwerklich versierter Tonsetzer.

Die Sächsische Staatskapelle bleibt unter der Leitung von Wayne Marshall dem opulenten Orchesterklang nichts schuldig. Vor allem, wenn er das Kolorit der zwanziger Jahre auf Long Island, wohin er uns entführt, durch die Modetänze jener Golden Twenties hörbar macht, ist durchaus etwas los auf der Bühne. Da fehlen weder Showtreppe noch Jazzband. Und doch ist nichts wirklich Überraschendes dabei. Es wird wiederholt, gedehnt und überdehnt - was auch an der Vorlage liegt.

In den USA ist F. Scott Fitzgeralds Roman »The Great Gatsby«, aus dem sich Harbison das Libretto gemacht hat, so populär, dass er nicht nur viele Verfilmungen (u.a. mit Robert Redford und vor zwei Jahren mit Leonardo DiCaprio) trägt, sondern auch noch ein Musical und eben eine Oper.

Hierzulande dürfte das gleichwohl nicht funktionieren - schon wegen hochkarätiger Konkurrenzangebote. Und wegen der Schwäche des Kandidaten. Was im Roman ein Gesellschaftspanorama ist, kriegen wir auf der Bühne als Klischee-Ansammlung. Etwas gelangweilte, auf jeden Fall skrupellose, moralisch fragwürdige Oberschicht-Amerikaner mögen TV-Serien wie Dallas tragen, aber für den exemplarischen Extrakt des Lebens in einer Oper bleibt das zu dünn. Zumindest, wenn man nur damit traktiert, wie sie dauernd fremdgehen, über andere herziehen, spekulieren und dann Angst vor den Folgen eines Crashs haben, am Ende jemanden totfahren und dafür in guter Wildwest-Selbstjustizmanier der vermeintliche Fahrer erschossen wird. In dem Fall gilt nicht mal: erst schießen, dann fragen, denn der rächende Ehemann der überfahrenen Frau erschießt sich auch noch selbst.

Regisseur Keith Warner setzt auf große Bilder fürs Banale: die übergroßen Gartenmöbel fürs Stelldichein von Gatsby mit seiner früheren, jetzt verheiratete Flamme Daisy. Ein Riesenradio oder ein XXL-Cocktailglas, in dem Gatsby dann verblutet. Die Welt der Superreichen halt. Im Hintergrund sieht man immerhin die Schornsteine rauchen. Die Ausstattung bietet also was fürs Auge, die Kostüme setzten auf den Schick der zwanziger Jahre.

Vokal bietet die Semperoper dem Erstaufführungs-Anlass gemäß hohes Niveau: Vom spielfreudigen Ensemble machen vor allem der Däne Peter Lodahl in der Titelrolle und seine schwedische Kollegin Maria Bengtsson, aber auch John Chest als Erzähler Nick und die unabhängig mondäne Golferin Jordan (Christina Bock) Eindruck.

Nächste Vorstellung am 11. Dezember

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