»J wie Jauche«

Neue Comedy-Serie »Jennifer« auf NDR mit Olli Dittrich in der Hauptrolle

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Klischee ist ein dramaturgisches Windei. Dem Französischen entlehnt, bezeichnet es endlos erwärmten Kaffee, der bei jeder Mahlzeit abgestandener schmeckt, aber nichts kostet. Ist Altware frei verfügbar, muss man sich grad unterm öffentlich-rechtlichen Kostendruck nichts Neues zulegen - das gilt fürs Personal ebenso wie für Inhalte. Was wiederum nirgends deutlicher wird als im Fernsehhumor. Friseure zum Beispiel sind darin grundsätzlich schwul, ihre Kolleginnen pink, Discobesitzer schmierig, Omas altklug und Taxifahrer grobschlächtig.

Womit wir in Winsen an der Luhe wären, einer öden Schlafstadt vor den Toren Hamburgs, bevölkert von gewöhnlichen Leuten mit gewöhnlichen Leben wie Jennifer - meint man beim NDR. Ab heute schneidet sie dort der Provinz das Haupthaar, genauer: sie schnitt. Weil sich Inhaber Sandro mit einem Föhn erdrosselt hat, leitet sein Lebenspartner Dietmar nun den Salon »Hair & Care« und erteilt der einfach gestrickten Friseurin (Katrin Ingendoh) mangels Gesellinnenbrief Scherenverbot, was ihre Großmutter (Doris Kunstmann) auf den Plan ruft, die der Obertitelfigur mit Kollegin Melie (Laura Lo Zito) dabei hilft, den Untertitel umzusetzen: »Sehnsucht nach was Besseres«.

Diese Hassliebeserklärung an eine bildungsfern-proletarische Kleinstadtmittelschicht grundiert das Nischenprodukt von Regisseur Lars Jessen von der ersten bis zur letzten Minute. Damit hat der Regisseur Erfahrung: Schon in »Dorfpunks« und »Fraktus« hat er den Alltagsfreaks seiner küstennahen Heimat fragwürdige Denkmäler gesetzt. Auch auf das von Jennifer (»mit J wie Jauche«) scheißen die Tauben der norddeutschen Tiefebene Landeihumor der Güteklasse C, und dies mit allem, was die Region im Mainstreamfernsehen angeblich symbolisiert: angefangen mit einem angeblich lokalkolorierten Dialekt, der klingt, als stecke man Dieter Bohlen und Heidi Kabel in einen Sack Hafenarbeiter mit Gesichtslähmung.

Doch nicht nur sprachlich ersäufen die Bücher von Andreas Altenburg und Harald Wehmeier den Pöbel in doppeltem Präteritum (ich war gewesen) mit Dativdrehern (lern du mich nicht die Welt kennen). Sie lassen auch dramaturgisch kein ungefärbtes Haar an ihren Protagonisten. Es wäre eher zum Heulen als zum Lachen - schimmerte nicht immer wieder ein barmherziger Glanz durch die halbstündigen Episoden.

Das liegt an Olli Dittrich. Sein ostentativ schwuler Friseur ist so überfrachtet mit Vorurteilen, dass es schon wieder witzig wird. Schließlich persifliert ihn der wahrhaftigste Persönlichkeitsparodist im Land aus dem Füllhorn seines Dittsche-Kosmos exakt zwischen Empathie und Fremdscham. Wie Dietmar dank achtelprominenter Anekdoten von Vicky Leandros’ Beleuchter, mit dem er mal befreundet war, selbst beim leicht erregbaren Salonpublikum nur Mitleid erntet - das karikiert die Abgründe tradierter Hierarchien schmerz- und lachhaft zugleich. So hat »Jennifer« am Ende doch mehr Charme als Scham. Das ist weder »Tatortreiniger« noch »Mord mit Aussicht«, geschweige denn Dittsche, aber doch heitere Provinzialität als Betthupferl ab zehn.

NDR, 22.25 Uhr

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