Wir alle sind Spieler

Zwei junge Menschen erleben in einem Berliner Kasino die Höhen und Tiefen des Zockens

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 3 Min.
Reichtümer werden gewonnen und genauso schnell auch wieder verloren. Glück ist unberechenbar. Eine Nacht in einem Berliner Kasino.

Felipe und Alice verbindet nichts, außer das, was uns alle verbindet: Sie sind Spieler. Felipe ist 36, kommt aus dem Baskenland in Nordspanien, trägt eine verwaschene Leinenhose und ein kariertes Hemd. In seiner Hosentasche stecken 20 Euro, eine EC-Karte und er sagt: »Ich bin hier, weil es mich inspirieren könnte«. Alice hat britische Wurzeln, lebt und arbeitet in Berlin und meint: »Ich will mich zeigen. Und gewinnen!« Es ist ein Donnerstagabend an dem das Schicksal über das Leben der beiden entscheiden soll.

In einem Berliner Spielkasino treffen sie gegen 00.00 Uhr aufeinander und beschließen, die 20 Euro aus Felipes Hosentasche und den glatten 50-Euro-Schein aus Alices Lederbörse zu vereinen. Sie treten ein, in eine Welt, von denen nicht wenige sagen, sie sei die Hölle und in der Erfolg so ehrlich wie sonst nirgends direkt mit barer Münze bemessen wird. 2,50 Euro Eintritt. Die Herren und Damen des Empfangs werden an diesem Abend die einzigen bleiben, die die Krawatte passend zum Hemd gewählt, überhaupt nur angelegt haben. Lila Polsterstühle. Teppichboden, wildes Muster. Automatenmusik. Leere Gesichter am Pokertisch. Kein Hort der Glückseligkeit, für Alice wirkt die erste Etage wie »ein Sammelbecken für Verzweifelte«. Felipe aber weist sie auf einen älteren Herren an einem der Pokertische hin. Dem Mann ist so eben ein hörbares Lachen entwichen. Überhaupt, die ganze Runde strahlt. Gewinn scheint an diesem Tisch nicht nur für diejenigen etwas zu sein, die keine Verlierer sind.

»Roulette?«, fragt Felipe einen der gut bekleideten Croupiers des Kasinos mit rollendem R. Alice und Felipe stellen ihr Glück einen Stock tiefer auf die Probe. Die blinkende Automatenwelt scheint auf einen Schlag alle Sorgen der grauen Alltagstristesse vergessen zu lassen. Nach zehn Minuten haben die beiden aus zehn 44 Euro gemacht. Felipe ist fürs Weiterspielen, Alice nicht. Natürlich, sie spielen. Sie setzen alles auf die 14. Sie hat da so ein Gefühl, sagt Alice. Nun ist alles weg. »Es war ja auch nie was da. Außer die zehn am Anfang«, sagt Felipe, für den Geld nur ein Konstrukt ist, mit dem sich Menschen Barrikaden vor die Seelen bauen. Gemeinsam schieben sie fünf Euro in einen der blinkenden Automaten, deren Systeme noch nicht einmal die verstehen, die sich täglich an sie, wie an den Tropf hängen. 18 Euro. Alice hat es geschafft aus fünf achtzehn zu machen. Alice wird später dennoch sagen, sie hatten eine Pechsträhne an diesem Abend. Für Felipe wird feststehen: So etwas wie Glück oder Pech gibt es nicht. »Alles reine Statistik«. 2.30 Uhr. Alles verspielt. Fast alles. Felipe hatte vor einem Monat Geburtstag, die Mutter in Nordspanien deshalb ein wenig Urlaubsgeld auf das Konto gebracht. »Das ist der Tiefpunkt des Abends«, murmelt Felipe als er den Geldautomaten im Kasino um ein wenig Gnade bettelt. Hier ist alles käuflich, selbst die Scham kommt fein säuberlich aus einem Automatenschlitz. »Felipe, setz auf die rote 18«, hatte ihm die Mutter noch mit auf den Weg gegeben.»Die rote 18? Noch nicht jetzt«, ist sich Alice sicher.

Sie setzen alles,50 Euro, bis auf die rote 18. Sie kommt. Natürlich. So ist das mit dem Glück und auch dem Pech. Sie sind zumeist unverhofft, sonst wären sie doch gar nichts wert. Felipe und Alice bleiben in ihren Stühlen sitzen, starren zwei, drei Minuten ins Leere und schreiten wieder zurück in die Welt, in der das Schicksal nicht immer so schnell und offensichtlich entschieden wird, wie in der des Spielens.

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