Ein Manager will die Leere füllen

Projekt soll wieder mehr Leben in die Altmark in Sachsen-Anhalt bringen

  • Sabrina Gorges, Bismark
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Altmark hat ein Problem. Die Menschen verlassen die Region. Sie ist von Leerstand und Wegzug geprägt. Ein Projekt soll wieder Leben in verlassene Immobilien bringen. Dafür gibt es extra einen Manager.

Bei Tino Pauls klingelt das Telefon. Eine 70 Jahre alte Frau aus Franken ist dran. Sie will bald zurück in ihre altmärkische Heimat und sucht ein passendes Dach über dem Kopf. Gern ein bisschen größer, gern beschaulich und gern »auf der Sonnenseite«, wie sie sagt. Pauls will helfen. Er werde das Richtige finden, sagt er der Rentnerin. Hier, in einer der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands, der Altmark.

Dann legt er auf und strahlt. »Die Nachfrage ist da«, sagt er. Auf das Angebot hat der 37 Jahre alte Leerstands-Manager ein wachsames Auge. Seit August arbeitet er mit katalogisierten Brachen - vom Gutshaus bis zur Siloanlage. Möglich macht das ein Projekt, das sich um den »Luxus der Leere« in der Altmark kümmert. Pauls weiß, wie sich ganz viel Gegend anfühlt. Er kommt aus einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Sein Dialekt verrät ihn. Aus privaten Gründen hat es den Ex-Zeitsoldaten der Bundeswehr in den Norden Sachsen-Anhalts verschlagen. »Ich habe mich nach dem Studium hier beworben«, sagt er. Die Anzeige der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck und der Städte Bismark und Osterburg lautet auf »Sachbearbeiter für Brachflächenmanagement«. Pauls beschließt nach erfolglosen Initiativbewerbungen, seine Unterlagen einzureichen. Der Bachelor im Studiengang »Wirtschaft, Recht und Gesellschaft« passt ins Profil. Pauls sagt mit einem Lächeln: »Ich gebe zu, ich konnte zuerst nicht viel mit der Stellenbeschreibung anfangen.«

Was Pauls jetzt macht, ist eigentlich ganz einfach. Über das mit Landesmitteln geförderte Projekt sollen leerstehende Immobilien im Einzugsgebiet der drei Initiatoren wieder belebt werden. »Wir reden von 104 Einzelortschaften mit etwa 30 000 Einwohnern«, sagt Leerstands-Verwalter Pauls. »Da kommen einfach zu viele Gebäude und Flächen auf zu wenige Leute.« In der Altmark, die aus den Landkreisen Stendal und Salzwedel besteht, wohnen kaum mehr als 200 000 Menschen. Das sind gut 50 pro Quadratkilometer - viel ist anders. Ähnliche Projekte gibt es in Deutschland bereits, für die Altmark hat es Pilotcharakter. »Seehausen und Kalbe überlegen, es auch so zu machen«, sagt er.

In einer Projektvorstufe wurden 2013 und 2014 rund 500 ungenutzte Immobilien der drei beteiligten Kommunen erfasst, gut 80 Prozent befinden sich in privater Hand. Das Register ist kein statisches Gebilde, weiß Pauls, der ein riesiger Fußballfan ist. »Da wird an der einen Stelle abgerissen oder verkauft, und an anderer Stelle kommt ein leeres Haus dazu.« Alles ist im Fluss. Manchmal, sagt er, sind vermeintlich verlassene Althöfe doch noch bewohnt - nur eben nicht sichtbar. »So ein großer Vierseitenhof überfordert viele auch einfach.«

Wer so ein Objekt in der Altmark bewirtschaftet und in Ordnung hält, ist oft Idealist. »Manchmal haben die Erben das Ackerland zur Hofstätte verkauft und geben diese dann dem Verfall preis.« Pauls schlägt den Katalog für Bismark auf. Bilder und Beschreibungen von Gebäuden, Anlagen und Flächen sind zu sehen. Für die einen sind sie Klötze am Bein, für andere ein Wohntraum.

Aktuell ist er mit dem Bestand der 8500 Einwohner zählenden Kleinstadt und ihrer 38 Gemeinden befasst. Die Orte werden abgefahren, Eigentümer ausfindig gemacht und angeschrieben. »Es ist ein unverbindliches Angebot zur Zusammenarbeit«, sagt Pauls. Auch ein Fragebogen ist dabei. »Ich muss herausfinden, was vermarktbar ist, und was nicht.« Als nächsten Schritt soll es eine Immobilienbörse im Internet geben. Auch Makler sollen ins Spiel kommen. »Man kann aus der Region eine Menge machen.«

In der Gemeinde Arneburg-Goldbeck, wo der Leerstands-Manager die ersten Monate gearbeitet hat, sind 180 Schreiben an Eigentümer rausgegangen. Der Rücklauf ist bisher eher mäßig. Viele sähen ein leeres Haus mit marodem Dach und Fenstern nicht als Brache an, fühlten sich zu Unrecht gegängelt und schimpfen. »Der Umgang mit den Menschen und den Immobilien ist eine ganz sensible Sache«, sagt Pauls. »Man dringt ja doch in die Privatsphäre ein.«

Pauls Arbeitsvertrag läuft zunächst bis Ende 2016. Bismarks Bauamtsleiter Erik Dähne ist ein Fan des Projekts und wünscht sich planerische Sicherheit für die Zukunft. »Das ist ein guter Weg«, sagt er. dpa/nd

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