Ein Netzwerk auf der Balkanroute

Die selbstorganisierte Hilfsorganisation »Refugee Aid Serbia« unterstützt Geflüchtete in Belgrad

  • Lesedauer: 4 Min.

Immer noch reisen Tausende Flüchtlinge über Serbien nach Kroatien und weiter in den Norden. Wie ist die Situation jetzt im Winter?

Zu Beginn des Jahres schneite es in Belgrad. Die Flüchtlinge sind nicht auf das Wetter vorbereitet, viele kommen hier an mit zerrissenen Schuhen und leichter Kleidung. Wir haben Winterkleidung und Schuhe gesammelt, die dringend benötigt werden. In Serbien gibt es einige wenige Lager, aber ansonsten kaum Unterkünfte für Flüchtlinge. Im Sommer schliefen die meisten unter freiem Himmel oder in Zelten, aber jetzt versuchen sie, so schnell wie möglich weiterzureisen.

Nenad Popovic

Nenad Popovic, 28, ist von Beruf Unternehmer. Seine Eltern flohen vor dem serbisch-kroatischen Bürgerkrieg, er wuchs in England auf. 2014 kehrte er nach Serbien zurück, wo er im letzten Sommer zu den Mitgründern von »Refugee Aid Serbia« gehörte, einer privaten Hilfsorganisation mit Sitz in Belgrad. Mit Popovic sprach für »neues deutschland« Paul Simon.

Durch das kalte Wetter ging die Zahl der Flüchtlinge leicht zurück. Hinzu kommt, dass in Mazedonien seit Ende Dezember nur noch Syrer, Afghanen und Iraker die Grenze passieren dürfen. Dennoch erwarten wir spätestens im Frühling eine neue Welle von Flüchtlingen, wenn das Wetter wieder besser wird. Wir bereiten uns darauf vor, bald wieder täglich Tausende von Menschen zu versorgen.

Im vergangenen Sommer, als Zehntausende Flüchtlinge durch Serbien strömten, bildete sich im Zentrum von Belgrad ein improvisiertes Lager in einem Park. Jetzt ist es gut organisiert. Wie kam es dazu?

Ich habe damals eine Organisation geleitet, die vor allem mit benachteiligten Jugendlichen in Serbien arbeitete. Wir sahen die schwierige Situation der Menschen im Bristol Park, aber die Regierung unternahm nichts. Also begannen wir gemeinsam mit den Flüchtlingen, das Lager aufzuräumen und zu organisieren. Zusammen mit acht anderen Gruppen gründeten wir im August »Refugee Aid Serbia«. Zuerst war das schwierig, aber es lief mit der Zeit immer besser.

Ihre Organisation entstand als spontane Reaktion auf eine Notlage, die aber nicht zu enden scheint. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben uns entschieden, eine offizielle Nichtregierungsorganisation zu werden, um Fördermittel erhalten zu können. Die Regierung in Serbien unterstützt zwar das Rote Kreuz oder Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, nicht aber solche ad hoc-Koalitionen wie uns. Dabei waren wir, das kann ich sagen, zumindest in Belgrad die effektivste Hilfsorganisation. Wir sind abhängig von Sachspenden der Menschen hier vor Ort. Im Sommer kamen auch private Konvois aus Kroatien, Slowenien und Bosnien. Jetzt werden wir verstärkt Geldspenden sammeln, um uns möglichst effektiv auf die nächste Welle der Flüchtlinge vorzubereiten.

Aber nach wie vor stützt sich Ihre Arbeit auf Freiwillige?

Definitiv. Unsere Helfer stammen aus der ganzen Welt, von Amerika bis Australien. So wurde unsere Organisation zu dem, was sie jetzt ist: Keine kleine Gruppe, sondern ein organisiertes Netzwerk. Die Freiwilligen stehen im Zentrum und ihnen gilt unsere ganze Liebe und unserer Respekt, denn sie haben uns durch die härtesten Zeiten geholfen. Wenn ein Backpacker, der zunächst nur auf der Durchreise war, beschließt zu bleiben und anzupacken, dann ist das einfach beeindruckend.

Sie sammeln auch Geld, um in Griechenland Hilfe zu leisten. Warum?

In Griechenland fehlt es an allem. Einige Teams Freiwilliger, die uns in der Vergangenheit in Serbien unterstützt haben, arbeiten mittlerweile dort. Es ist nur angemessen, dass wir jetzt zu ihnen reisen und ihnen beistehen, vor allem auf den Inseln Lesbos oder Kos. Dort wird rund um die Uhr Hilfe benötigt, schon um Boote an Land und die Menschen in Sicherheit zu bringen.

In Deutschland ist immer wieder eine zumindest teilweise Schließung der Grenze im Gespräch. Was hätte das für Auswirkungen in Serbien?

Eine Grenzschließung würde ernsthafte Probleme verursachen. Flüchtlinge würden in Serbien oder Kroatien festsitzen, sie könnten nirgendwo hin. Die serbische Regierung ist auf so etwas einfach nicht vorbereitet und wir hätten keine Möglichkeit, die Menschen auf Dauer zu versorgen oder unterzubringen.

Bisher hat es in Serbien zum Glück keine ernsthaften Konflikte in der Bevölkerung gegeben, bis auf ein paar Fremdenfeinde hier und da. Aber eine Grenzschließung würde selbst im Sommer zu Spannungen führen, und ich will mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn im Winter so viele Menschen hier stecken bleiben sollten.

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