Italiens Krise und kein Ende

Die gescheiterte Austeritätspolitik der EU ist besonders in den südlichen Mitgliedsländern zu beobachten

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 3 Min.
Kurz vor Jahresende hatte sich Italiens Regierungschef mit Kritik an der deutschen Politik zu Wort gemeldet. Ein Blick auf die wirtschaftliche Situation des Landes zeigt, dass er dafür gute Gründe hat.

Es klang ein wenig nach Verzweiflung, was Italiens Regierungschef Matteo Renzi der »Financial Times« anlässlich der Parlamentswahl in Spanien diktierte: »Das ist ein sehr wichtiges und starkes Zeichen. Hier zeigt sich, dass Austeritätspolitik zwar Wachstum bringen kann, aber ohne neue Jobs zu schaffen - und einer der Jobs, die Gefahr laufen, dabei verloren zu gehen, ist der des Regierungschefs.« Renzis Besorgnis ist begründet, denn in Italien ging 2015 nichts voran, obgleich der Regierung kaum Tatenlosigkeit vorzuwerfen ist. So wurden seit Amtsantritt der Mitte-Links-Koalition eine Reform des Arbeitsmarktes nach Hartz-IV-Vorbild durchgeführt, Steuererleichterungen für Firmen beschlossen und Staatsbetriebe privatisiert. Für 2016 ist der Börsengang der Bahn geplant.

Positive Wirkungen hatte all dies bisher kaum. Zuletzt sorgten Daten aus dem produzierenden Gewerbe für Sorgenfalten in Politik und Wirtschaft, denn das italienische Statistikamt ISTAT vermeldete einen Einbruch des Produktionsindex’ von knapp 30 Prozent gegenüber der Zeit vor der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008. Der Produktionsindex im Bausektor sank im Oktober sogar um 7,1 Prozent zum Vorjahresmonat. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2015 um höchstens 0,8 Prozent gewachsen sein - viel zu wenig, um das Ziel der Austeritätspolitik, nämlich den Staatsschuldenabbau, zu erreichen.

Hier zeigt sich das eigentliche Problem der Krise der ehemaligen kapitalistischen Kernstaaten Südeuropas: Wirklich wettbewerbsfähig waren deren Volkswirtschaften nie, nur die lockere Geldpolitik und Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) verhindern in Italien, Spanien, Portugal und Frankreich eine Rezession. So sorgen die Eingriffe der EZB für sehr niedrige Zinsen auf italienische Staatsanleihen, weshalb sich das Land weiter verschulden kann und noch nicht zu einem zweiten Griechenland geworden ist. Allerdings ist dieses Spiel hochriskant, besonders da sich in der Realwirtschaft praktisch nichts verbessert hat. So ist Italien mit einer Staatsverschuldung von rund 133 Prozent des BIP Europas Sorgenkind Nr. 2.

Das wird auch historisch deutlich: Derartig hohe Verschuldungsraten verzeichnete Italien zuletzt in den 1920er Jahren. Zugleich wächst das Volumen der Privatkredite mit über 90 Tagen Zahlungsverzug. Ende 2015 mussten vier Sparkassen gerettet werden, die unter faulen Kredite zusammenzubrechen drohten. Aufgrund neuer EU-Regeln müssen sich Banken und Privatanleger an derartigen Rettungsaktionen beteiligen. Presseberichten zufolge nahm sich ein Pensionär, der dabei einen Großteil seines Vermögens verloren hatte, das Leben.

Besonders gefährlich für Renzi ist die hohe Arbeitslosigkeit, die offiziell bei rund zwölf Prozent liegt. Das ist allerdings eine heillose Untertreibung. Ein genauer Blick auf die Daten zeigt den sozialen Sprengstoff, den die Krise birgt: Von knapp 40 Millionen Erwerbsfähigen in Italien haben nur 22 Millionen tatsächlich eine Beschäftigung. Der Unterschied zur Arbeitslosenquote ist statistischen Tricks geschuldet: So gelten rund 14 Millionen Erwerbsfähige als »inaktiv«, da sie dem Arbeitsmarkt angeblich nicht zur Verfügung stehen. Auch die Zahl der tatsächlich Beschäftigten ist fragwürdig, da sie nach dem Konzept der International Labor Organisation ermittelt werden, wonach jede Person als beschäftigt gilt, die mindestens eine Stunde pro Woche einer bezahlten Tätigkeit nachgeht. Trotz der Zählweise liegt Italiens Jugendarbeitslosigkeit sogar bei rund 40 Prozent. Zudem müssen laut ISTAT rund 2,4 Millionen Rentner mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen.

Renzi beließ es aber nicht bei seiner Kritik, sondern brachte ein Wachstumsprogramm für 2016 durch das Parlament und verkündete ein höheres Defizit als bisher geplant. Rund 35 Milliarden Euro werden im »Stabilitätsgesetz« für die Verschiebung einer geplanten Mehrwertsteuererhöhung, die Abschaffung einer Immobiliensteuer für Erstwohnungen sowie weitere Maßnahmen zur Nachfragestimulierung aufgebracht.

Brüssel und Berlin werden von derlei Kursabweichungen kaum erfreut sein, während der Sozialdemokrat Renzi demnächst vor der Entscheidung stehen dürfte, ob er das Schicksal seiner Kollegen Samaras (Griechenland), Coelho (Portugal) oder Rajoy (Spanien) teilen will, deren Jobs tatsächlich dem Merkel-Schäuble-Regime zum Opfer fielen, oder ob er die offene Konfrontation mit Deutschland suchen will.

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