Weggehen oder Durchhalten

Jana Benová über Sehnsucht und Nüchternheit

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 2 Min.

Die slowakische Schriftstellerin Jana Benová nennt das schmale Buch einen Roman. Das ist ihr gutes Recht, aber eigentlich ist es eher eine Erzählung in Form vieler kleiner Alltagsbegebenheiten und bedenkenswerter Aphorismen. Die fügen sich zu einem Geflecht schwergewichtiger Themen zusammen, die einen ganzen Lebens-»Roman« bestimmen können. Es geht, wie der Buchtitel schon sagt, um »Abhauen«, also um Weggehen und Flucht oder Bleiben und Durchhalten. Dass der Begriff »Abhauen« bei einer 1974 in Bratislava geborenen Autorin auch mit der politischen Vergangenheit besetzt ist, liegt nicht nur nahe, sondern bestätigt sich beim Lesen.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Rosa, Anfang dreißig, aufgewachsen in einer Plattenbausiedlung hinter einem Rangierbahnhof, ist mit Son verheiratet. Beide schreiben. Son ist ein Poet, Rosa schreibt Prosa. Das bedeutet Gemeinsamkeit, macht aber auch den Unterschied aus. »Prosa erzählt etwas, Poesie bewirkt etwas mit Hilfe von Worten. Im Grunde genommen werden die Leute in Poeten und Prosaisten unterteilt. In Sons und Rosas.«

Schon frühzeitig hat sich Rosa aus Enge und Unfreiheit hinausgesehnt - nach Wien, nach Paris, zum Onkel nach Amerika. Dazu trugen Plattenbau und Fernzüge ebenso bei wie die Literatur, Camus, Pessoa, Kerouac, Ginsberg ... Die Ehe (ein »ästhetischer Selbstmord« nach Camus), gegenseitige Abhängigkeiten, das schrecklich Alltägliche: alles wird für Rosa unerträglich. Schon früher einmal ist sie weggelaufen. Nun packt sie ihren Rucksack und haut ab in Richtung Graz.

Mit dem alten Freund Corman zusammen durchstreift Rosa das »goldene« Österreich, dann das »silberne« Slowenien. Aber das Meer bleibt wie auch die Erfüllung der Träume fern.

Corman ist ein Scharlatan, ein Marionettenspieler, der die Puppen mit den Holzköpfen und die Menschen an Fäden hält. So kehrt Rosa zu Son und in ihr Land »mit den Pfefferminzflüssen« zurück. War alles Traum?

Am Ende wird ein Ehebett gekauft, gibt es Familienweihnachten und gemeinsame Waldspaziergänge. An trüben Wintermorgen sitzen beide schreibend, Rücken an Rücken, an ihren Tischen. »Wir schreiben all die Wut auf, die Tränen und die Hilflosigkeit.« Aber ein Paar Schuhe mehr zu haben, kann nichts schaden, falls man es wieder einmal nicht aushält in der Liebe, der Sicherheit und an den Pfefferminzflüssen.

Jana Benová: Abhauen! Roman. Aus dem Slowakischen von Andrea Koch-Reynolds. Residenz Verlag. 136 S., geb., 18,90 €.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -