Sieben Tage, sieben Nächte

  • Lesedauer: 3 Min.

Vor Monaten habe ich im Internet etwas ausgefüllt. Seitdem schreibt mir Johanna alle fünf, sechs Tage eine Mail. »Hallo Regina, ich habe mal wieder für dich im Bücherregal gestöbert! Da ist bestimmt etwas für dich dabei!« Johanna ist »Buchexpertin«. Sie liest »querbeet«, am liebsten »auf einem Berg Kissen, Getränk und Snack in Reichweite« und stapelt ihre Bücher »kunterbunt durcheinander«. Auf der Website des Unternehmens, das Büchertipps gibt und freundlicherweise die entsprechenden Werke auch gleich besorgen kann, ist sogar ein Foto von ihr zu finden. Eine sympathisch aussehende Frau.

Aber ihre penetrante gute Laune ist schon sehr verdächtig. Wenn sie mir wieder etwas »wärmstens« empfiehlt, ist alles voller Ausrufezeichen und munteren Aufforderungen, mich bei ihr zu melden, wenn ich weitere Tipps brauche. »Schreib mir doch einfach! :)« Wenn sie darauf hinweist, dass ich alle Bücher »versandkostenfrei, hübsch verpackt und mit gratis Lesezeichen« im Shop bestellen kann, steht dahinter: »Ich würde mich freuen!« Wie eine Freundin schickt sie »liebe Grüße« oder »ganz liebe Grüße« und wünscht mir stets »viel Spaß beim Lesen!«.

Verraten hat sie sich dadurch, dass sie sich im Betreff noch nie wiederholt hat. »Neue Buchempfehlungen für dich«, »Tolle Bücher für dich«, »Bücher-Nachschub für dich«, »Meine Favoriten für dich«, »Neue Lieblingsbücher für dich« ... - kein normaler Mensch wäre in der Lage, sich diese unzähligen Varianten auszudenken. Kein normaler Mensch … oder gar kein Mensch. Johanna hat nichts Humanes an sich. Allenfalls etwas Androides.

In hitzigen Debatten in der Redaktion heißt es gern mal, man könne die Kolleginnen und Kollegen ja genauso gut durch Roboter ersetzen. Denn bekanntlich könnten die aus Börsendaten, Fußballergebnissen, Textbausteinen und Algorithmen längst fehlerfreie Meldungen herstellen, die von sauberem Journalistenhandwerk nicht zu unterscheiden sind. Bei uns ist das natürlich nur Spaß. Bei Johanna ist es tatsächlich passiert. Die Roboter sind unter uns. Vermutlich sind als nächstes andere Experten dran. Alle, die mit immer verschiedenen Worten das immer Gleiche sagen, wurden bestimmt schon ausgetauscht. Achten Sie auch auf Satzbausteine wie »Man wird ja wohl mal sagen dürfen«, »Wo ist die Fernsehzeitschrift, Schatz?« oder »Ich bin gerade im Park«.

Umso mehr braucht uns die Welt. Uns echte Journalisten. Denn wir wählen Themen und Fakten aus, wir kombinieren und kommentieren sie, wir sprechen mit Menschen, wir recherchieren. Wir haben ein Gespür für Menschen. Und Gefühle. Sogar für Roboter. Ich freu mich auf Post von Johanna. Ganz liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen! rst

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