Der komplexe Mensch

Lena Tietgen fordert mündige und soziale Bürger

  • Lesedauer: 2 Min.

Schon zu Beginn der Neuzeit wurde die Umsetzung des Bildungsziels eines mündigen Bürgers kontrovers verfolgt. Als Empiriker verglich John Locke das Kind mit einem weißen Blatt Papier, das durch Erfahrung beschrieben werde. Erziehung bestehe, so Locke, darin, das Kind an die richtigen Erfahrungen heranzuführen. Entsprechend hingen die Erziehungsmethoden vom angestrebten Erfolg ab. Für Jacques Rousseau bringen Kinder von Geburt an Anlagen mit, die es mittels indirekter Führung durch Erwachsene selbst entfalten. Um justierend eingreifen zu können, müssten Pädagoge lediglich die Kinder beobachten und die Entwicklung dokumentieren.

Dieser Kontrast zwischen einem eher autoritären Ansatz und einer reformpädagogischen Herangehensweise besteht bis heute - und er hat im Zuge der PISA-Debatte an Schärfe gewonnen. Die Koppelung der kapitalistisch orientierten Ökonomisierung der Gesellschaft mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) prägte die letzten Jahre, wodurch in Wissenschaft und Bildung kybernetisch angepasste Modelle Eingang fanden. Dieser sich gegenseitig verstärkende Mechanismus erzeugte einen Hype; eine mit schier unendlichem Zahlenmaterial gefütterte Studie jagte die nächste.

Dabei wird gerne die Komplexität des Menschen übersehen, die der KI Grenzen setzt. Hingegen neigt die Reformpädagogik zur Überinterpretation und damit zur Manipulation des Kindes. Sinnvoller wäre eine Synthese aus diesem Ansatz mit kybernetisch begründeten Bildungsmodellen, in der sich das Kind in seiner Komplexität und mit seiner Eigenart, Zufälle zu generieren, entfalten kann. Denn zukünftig brauchen wir den mündigen wie auch den sozialen Bürger.

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