Motiviert gegen das Endlager

Auch Gewerkschafter engagieren sich im Widerstand gegen Schacht Konrad

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

An einem Dienstagmorgen Ende Juli warten Mitglieder der IG Metall morgens um kurz vor fünf Uhr an allen drei Toren des Motorenwerks von VW in Salzgitter auf die Kolleginnen und Kollegen der Frühschicht. Sie tragen gelbe Westen, halten Klemmbretter und Kugelschreiber in der Hand und sammeln Unterschriften gegen das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad. Hinter sich haben sie ein Transparent aufgespannt: »Schacht Konrad: Alt – marode – ungeeignet«. Auch in der Mittagsause und vor der Normalschicht sind Aktivisten mit Unterschriftenlisten unterwegs. »Ich fordere den niedersächsischen Umweltminister auf, die Genehmigung für Schacht Konrad aufzuheben«, steht auf den Listen. Und: »Ich fordere, für alle Arten radioaktiver Abfälle ein vergleichendes und transparentes Standortauswahlverfahren durchzuführen.«

Seit 2007 baut der Bund das frühere Eisenerzbergwerk Konrad in Salzgitter zum nationalen Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle aus. Es soll ab 2027 mit bis zu 303 000 Kubikmetern Atommüll befüllt werden. Ein vergleichendes Suchverfahren wie derzeit beim Endlager für hoch radioaktiven Müll gab es nicht. Die Baukosten sind von 900 Millionen auf derzeit 4,2 Milliarden Euro gestiegen.

Im April dieses Jahres haben die Umweltverbände BUND und Nabu sowie das Salzgitteraner Bündnis gegen Schacht Konrad beim niedersächsischen Umweltministerium die Rücknahme des Planfeststellungsbeschlusses, also der Baugenehmigung, beantragt. Denn die damaligen Pläne und Gutachten entsprächen nicht mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Die bundesweite Unterschriftenaktion soll den Druck auf das für die Genehmigung zuständige Bundesland erhöhen. Neben Bürgerinitiativen und Umweltgruppen, Kommunen und Verbänden wie dem Landvolk mischen auch die Gewerkschaften in der Region aktiv in der Kampagne mit.

Bei VW in Salzgitter kommen in wenigen Tagen mehr als 2100 Unterschriften zusammen. »Voll motiviert haben wir die Kolleginnen und Kollegen persönlich angesprochen, damit sie mit ihrer Unterschrift die Forderungen der Konrad-Kampagne unterstützen«, berichtet Jessica Knierim, stellvertretende Vertrauenskörperleiterin im Werk. »In den Gesprächen haben wir festgestellt, dass viele Unterzeichner*innen es klasse finden, dass der Widerstand wieder so präsent in der Öffentlichkeit ist. Denn langfristig gefährdet das alte Projekt Schacht Konrad, das ist unserer Belegschaft sehr bewusst.«
Metallgewerkschafter Matthias Wilhelm moniert, dass die Auswirkungen eines atomaren Endlagers auf die ansässigen Großbetriebe wie die Salzgitter AG und die Batteriezellenfertigung bei VW überhaupt noch nicht untersucht wurden. »Es ist absurd und verantwortungslos, ein Atommülllager mitten in einem Industriegebiet neben Störfallbetrieben errichten zu wollen«, sagt er.

Viele Gewerkschafter halten die Inbetriebnahme von Schacht Konrad in der Industrieregion Salzgitter für »strukturpolitisch unverantwortlich«. Das Endlager habe »verheerende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung«. Sie warnen aber auch vor einer Gefährdung der Gesundheit der in der Region lebenden Menschen durch radioaktive Strahlung und vor der Gefahr schwerer Unfälle bei Atommülltransporten in das Endlager.
»Mehrere Zehntausend Gewerkschaftsmitglieder werden ihr Leben lang auf Atommüll arbeiten«, betont Ozan Inci, Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung von VW Salzgitter. »Die Betriebe sind teils hoch störanfällig. Wir werden der Verantwortung für künftige Generationen nicht gerecht, wenn dieser Atommüll hier im Schacht Konrad gelagert wird, ohne die Rückholbarkeit des Atommülls zu gewährleisten und ohne genaue Kenntnis der geologischen Verhältnisse.« Inci hat bei der DGB-Bezirksjugendkonferenz Mitte Juli einen Konrad-kritischen Antrag mit eingebracht, er wurde mit großer Mehrheit beschlossen.

Nicht erst jetzt erweisen sich Gewerkschaften und insbesondere die IG Metall als ein Motor des Widerstandes gegen Schacht Konrad. Schon vor 20 Jahren initiierten die Metaller eine Spendenkampagne, um Klagen gegen das Endlager abzusichern. Während eines Aktionstages im Frühjahr 2000 legten Tausende Stahl- und Metallarbeiter die Arbeit nieder. Wenig später protestierten vor dem Verwaltungsgebäude des Bundesamtes für Strahlenschutz in Salzgitter erneut mehrere Tausend Metaller gegen Konrad.

Dass sich Gewerkschaften so eindeutig gegen Atomkraft positionieren, ist keineswegs selbstverständlich. In der Vergangenheit standen sich organisierte Arbeitnehmer und AKW-Gegner oft unversöhnlich gegenüber. So demonstrierten während der Atom-Konsensgespräche zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der Stromwirtschaft gleichzeitig und am selben Ort Gewerkschafter für und Bürgerinitiativen gegen die Atomenergie.

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