Spaßmacher mit Depressionen

Die Doku »Der Clown« versucht zu ergründen, warum ein Film von Jerry Lewis über die Shoah nie in die Kinos kam

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Schauspieler genießen ein außergewöhnliches Privileg: Bei der Arbeit schlüpfen sie auf Abruf in völlig fremde Menschen und simulieren deren Persönlichkeit, ja deren ganze Existenz, als sei es die eigene. Danach aber, ein noch viel größeres Privileg, schlüpfen sie wieder raus aus dieser Jacke namens Rolle. Applaus, Vorhang, ab in die Maske, zurück auf Alltag, einfach so. So einfach?

Nein, so einfach fiel es Jerry Lewis nie. Für Spätgeborene: Jerry Lewis ist der beliebteste Komiker seiner Epoche. Geboren auf den Stand-up-Bühnen der USA, prägte er das technicolorbunte Komödienkino der Nachkriegszeit mit zeitgemäßem Slapstick wie Charly Chaplin das schwarzweiße der Jahre zuvor. Er ähnelte dem Stummfilmstar allerdings noch in einem anderen Punkt fatal: So befreiend Jerry Lewis‘ Humor auf das Publikum einer konventionsstarren Gesellschaft wirkte, nahm er doch gleichsam deren Befreier gefangen. Denn niemals durfte der Clown aus New Jersey anders sein als lustig, selbst dann nicht, wenn gar keine Kameras liefen. Zwischen all den Bürotrotteln, Heulbojen und Aschenblödeln blieb ihm jeder Anflug von Ernst so nachhaltig verwehrt, dass er ihn auf eigene Faust in Angriff nahm - und deshalb auch scheitern musste. Gescheitert sei er als Darsteller, Regisseur, Autor, Produzent und Mensch - so schildert es der Komödiant in einem Film von so hinreißender Tragik, dass man zögert, worüber es als erstes zu staunen gilt: die melodramatische Atmosphäre, zu der ein Film mit Jerry Lewis in der Hauptrolle fähig ist. Oder dass er überhaupt noch lebt.

Für beide Aha-Erlebnisse ist jemand zuständig, der die Abseiten des Lebens seit Jahren mit so unterhaltsamer Wissbegier bereist, dass er selbst zum Subjekt einer Dokumentation taugt: Eric Friedler. Wie zuletzt beim israelischen Freiheits-DJ Abie Nathan zeigt der preisgekrönte NDR-Autor erneut sein Gespür für Themen am Rande des Mainstreams. Jerry Lewis porträtiert er daher nicht stumpf zum 90. Geburtstag, Friedler erklärt den gebrechlichen, aber hellwachen Jubilar anhand seines künstlerischen Vermächtnisses: »The Day The Clown Cried«.

Mit diesem Drama wollte Lewis 1972 einem Schubfach entfliehen, in das die Branche seinerzeit nichts sicherer verwahrte als ihn. Seit jeher war Hollywoods Hofnarr auf Frohsinn gebucht, bis er unter eigener Regie einen Zirkusclown spielte, den die Nazis wegen eines Witzes ins KZ stecken, wo er totgeweihte Kinder fröhlich ins Gas geleitet. Zu einer Zeit, als selbst am liberalen Drehort Schweden niemand öffentlich über Auschwitz sprach, war das ein unerhörtes Stück Vergangenheitsbewältigung. Für Joseph Levitch aus New Jersey hingegen war es noch viel mehr. Unterm Künstlernamen saß er ja selbst im Kerker: seines eigenen Berufes, überall geliebt, weithin unterschätzt, zusehends erfolglos. Seine Tragikomödie war da als Ausbruch geplant. Nur - ob er gelungen wäre, bleibt bis heute ungeklärt. Der Film kam nie ins Kino und wurde somit zu dem, was der beteiligte Oscar-Gewinner Pierre Étaix »eines der größten Geheimnisse der Filmgeschichte« nennt. Genau dem geht Eric Friedler zwei Stunden, die nirgends langweilig sind, nach. Es ist ein Krimi ohne Mord, Ursachenforschung als Who-dunnit und dramaturgisch brillant. Der investigative Autorenfilmer aus Hamburg bringt schließlich nicht nur Jerry Lewis nach 44 Jahren erstmals über die größte Niederlage seiner Karriere zum Reden, die ihn einst in die Depression trieb; Friedler stöberte auch nie gezeigte Szenen von 1972 auf, die er nun von sechs überlebenden Darstellern am schwedischen Set in Bühnensituationen ergänzen lässt.

Dieses Wechselspiel zwischen Film und Theater, Original und Fälschung, gestern und heute ist schon jetzt ein Pflichtkandidat für den Grimme-Preis 2017. Und ganz nebenbei eine Therapie für den Titelhelden. »Es gibt keinen Tag in meinem Leben«, sagt der Superstar zum Dokumentaristen, »an dem ich nicht an diesen Film denke«. Dann zeigt er dieses herzerweichende Jerry-Lewis-Lächeln, das andere froh, aber und ihn so traurig gemacht hat und deutet etwas Erstaunliches an: Vielleicht hat er jetzt ja Ruhe. Friedler sei Dank.

ARD, 3.2., 22.45 Uhr

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