Im Karussell

Lee Ranaldo im Roten Salon

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Lee Ranaldo, der morgen 60 Jahre alt wird, mag Gitarren. Das ist kein Geheimnis. Er sammelt sie. Bei sich zuhause hat er dem Vernehmen nach sehr viele davon. Soll heißen: richtig viele. Bei seinem Auftritt am Sonntagabend im Roten Salon der Volksbühne, den der ehemalige Gitarrist der einflussreichen New Yorker Noiserock-Band Sonic Youth weitestgehend im Sitzen absolviert, wie sein Publikum auch, sind hinter ihm vier Akustikgitarren fein säuberlich nebeneinander aufgereiht. Auch eine Art Gitarrenlakai, dessen Aufgabe u. a. darin zu bestehen scheint, die Gitarrenhälse zu polieren und dem Großmeister zum jeweiligen Stück das jeweils dafür erforderliche und exakt gestimmte Instrument zu reichen, steht rechts von ihm am äußersten Bühnenrand und ist stets dann zur Stelle, wenn seine Dienste gebraucht werden.

Der ausverkaufte Abend, Ranaldos einziges Konzert in Deutschland, ist zwar als »Akustik-Set« angekündigt. Doch wenn einer wie er die elektrisch verstärkte Akustikgitarre spielt, muss man sich unter einem Akustik-Set etwas anderes vorstellen als bei einem Konzert von Reinhard Mey.

Ranaldo, der einst gemeinsam mit seinen Sonic-Youth-Kollegen, wie 15 Jahre vor ihnen bereits Velvet Underground, den Begriff dessen, was unter Rockmusik zu verstehen sei, kühn erweitert und sie zur Modernen Kunst hin geöffnet hat, spielt - sieht man von den stillen und bedächtigen Passagen ab, die es an diesem Abend auch gibt - sein Instrument meist druckvoll. Mal drischt der sitzende, mit schwarzem Hemd und Blue Jeans bekleidete Musiker auf die Saiten ein, als spiele er gerade gemeinsam mit den Ramones, mal so, als wolle er ein akustisches Gemälde malen wie Jackson Pollock seine Bilder. Sein Instrument bearbeitet er, wie er das bereits zu Zeiten von Sonic Youth praktizierte: etwa indem er es hie und da mit einem Geigenbogen spielt, ihm so eine Art gewitterhaftes Rumpeln und Sirren entlockt, Lautmalerei praktiziert, indem er mit seiner Gitarre Feedbacknoise erzeugt, Hall- und Echoeffekte auslöst oder indem er sie kurzerhand zum Percussioninstrument umfunktioniert und behutsam mit Fäusten und Fingerkuppen darauf herumklopft.

Die Songs, die dem Zuhörer abverlangen, knietief durch Melancholie zu waten, handeln von der Schönheit der Adoleszenzjahre, von der Jugend, der unwiederbringlichen Zeit des ziellosen Entdeckens, Erkundens und Experimentierens (»Drunk on red wine / Tommy smashing bottles against the wall / Just to hear the sound of them breaking«), von Liebe und Freundschaft, aber auch von deren Scheitern und Verlust, vom sinnlosen Kreislauf des Daseins, dem »Karussell der Zeit«, sowie natürlich vom Schmerz und vom Tod (»The road we take back out / Is the same we came in«).

Am Ende des zweistündigen Konzerts erzählt der in Manhattan lebende Ranaldo, dass sich seine Wohnung ziemlich genau gegenüber der City Hall befindet, dem New Yorker Rathaus und Sitz des Bürgermeisters der Stadt. Aus dem Fenster seiner Wohnung, so der Gitarrist, könne er täglich mal kleinere, mal größere Menschenmengen beobachten, die dort für oder gegen irgendetwas protestierten. Und schließlich wendet er sich der Zugabe zu: »Every time I wait for the revolution to come / Every night I think it’s here. And then it’s gone.«

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