»Wir sind am Abend ...

Kathrin Gerlof über die Kunst der Politik, ein und dasselbe Grundrechte mehrfach abzuschaffen

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

... unserer Tage.« Warum das bereits Friedrich Hölderin wusste, bleibt auf ewig ein Rätsel. Unser aller Bundeskabinett hat das Asylpaket II gebilligt und damit einmal mehr bewiesen, dass man Grundrechte tatsächlich mehrmals abschaffen kann. Naturwissenschaftler werden das vielleicht nicht verstehen und sagen, wenn etwas weg ist, ist es weg und kann nicht noch einmal verschwinden. In der Politik gilt das nicht. In der Politik gilt, was Cesar Rendueles als »die natürliche Tendenz der Menschen, ihre Interaktion auf nichtkompetente Weise zu koordinieren«, beschrieben hat. So schafft man es im Zweifelsfall auch, ein Grundrecht zwei Mal, drei Mal oder eben immer mal wieder verschwinden zu lassen.

Mühsam errungen sei der Asylkompromiss, schrieben die Zeitungen - vielleicht, um unsere Herzen vor Mitgefühl erbeben zu lassen. Wenngleich wir wissen, dass lieb gemeint nicht zwingend gut gemacht bedeutet. Aber wenn die Politiker und leider auch -innen sich doch anstrengen und nicht Mühe noch Zeit scheuen, die Dinge zum Schlechteren zu wenden, sollten wir das goutieren.

»Das Asylpaket II ist ein Sammelsurium von Schweinereien«, schrieb die linke Bundestagsabgeordnete Jelpke, die offensichtlich wenig Mitgefühl im Angesicht der Mühsal empfindet, die unsere Regierenden auf sich genommen haben. Aber möglicherweise war ihnen doch das Herz schwer, als sie beschlossen, dass Bürgerkriegsflüchtlinge künftig zwei Jahre auf den Nachzug ihrer Familie warten müssen. In zwei Jahren kann so viel Schönes passieren. Ein Krieg kann aufhören, Frieden vom Himmel fallen, aus Warlords können Kuschelbären werden, der vorgeflüchtete Ehemann kann feststellen, dass er seine Frau und seine Kinder gar nicht mehr liebt und recht froh darüber ist, dass die noch in irgendeinem Luftschutzkeller und nicht im Stockbett des Flüchtlingsheimes über ihm hocken und rumquengeln. Zwei Jahre sind einfach gut, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, ob man die Plage wirklich hier haben möchte oder nicht. Und sollte doch das eine oder andere Familienmitglied in der Zwischenzeit an den Folgen eines Bürgerkriegs oder ähnlichen Ungemaches sterben, dann ist das - vom Schreibtisch aus betrachtet - zwar traurig, aber es ist auch nicht das Ende von Allem.

Jetzt plädiert die Kolumnistin nicht dafür, nur schlecht von den Asylkompromisslern und leider auch -innen zu denken. Möglich wäre, dass Nahles, Gabriel und wie die teuren Toten alle heißen, schlaflose Nächte hatten, nachdem sie einschneidenden Leistungskürzungen für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive zugestimmt haben. Darben ist schlecht fürs Karma, das wissen die toten Teuren. Egal, ob man bleiben darf oder nicht. Und die Frage ist, warum ein Mensch, der nicht bleiben darf, weniger Hunger haben sollte als einer, dem das Paradies offen steht. Woraus schließen die Regierenden, dass ein kürzerer Aufenthalt einen Minderbedarf nach sich zieht - an Essen, Trinken, Klamotten, Duschgel, Tampons oder anderen völlig überbewerteten Dingen des täglichen Lebens?

Nun ja, das sind Kleinigkeiten. Und in welcher schlaflosen Nacht ist de Maizière oder eben - leider - Frau Nahles eingefallen, dass posttraumatische Belastungsstörungen keine schwerwiegende Erkrankung mehr sind? Stattdessen Pillepalle.

Wann genau ist aus der SPD eigentlich die ASPD geworden? Wobei das A wahlweise für Asozial oder Absolut überflüssig steht. Der Kabinettsentwurf - das sind jetzt Feinheiten - hat den Entwurf des Innenministers noch einmal verschärft. Um sich das zu trauen, brauchte es offensichtlich den Koalitionspartner SPD.

»Wir irrten oft, wir hofften viel und thaten wenig. Ich habe mir oft gesagt, du opferst der Verwesung und ich endete mein Tagwerk doch.« Hölderin, der alte Schlawiner.

Wir sollten unser Tagwerk nicht enden, sondern stattdessen dafür sorgen, dass die Karten neu gemischt werden. Sonst werden wir der Verwesung geopfert.

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