Mit Hermann Hesse zu Fuß durchs Tessin

Auf Wanderungen durch seine Wahlheimat kann man in das Werk des Schriftstellers eintauchen

  • Gabriela Greess
  • Lesedauer: 4 Min.
In einem abgeschiedenen Dorf des Tessins fand er für sich die ersehnte innere Ruhe nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs: Hermann Hesse (1877-1962) verbrachte in Montagnola hoch über dem Luganer See seine zweite Lebenshälfte, in der seine berühmtesten Werke entstanden. Inspiriert von »einer ihm wohl gesonnenen Natur«, wie er später schrieb, erwachte der damals 42-jährige Schriftsteller »aus jahrelanger Einsamkeit.«
Auf seinen Spuren lässt sich das Hinterland der Oberitalienischen Seen auch heute noch besinnlich entdecken. Hermann Hesse besaß weder Auto noch Fahrrad. Er durchstreifte die mediterranen Landschaften seiner Schweizer Wahlheimat zu Fuß, wanderte von Montagnola aus durchs Tessin ins nahe Italien und entdeckte seine Lust am Malen.
Warum nicht einmal wie er mit Notizbuch oder Staffelei losziehen, um »blaue Sternblumen« oder »schlafende Weiden« farbenfroh aufs Papier zu bannen?
Hermann Hesse, Anhänger von Freuds Psychoanalyse, interessierte sich auch für die Reisenden seiner Zeit - für ihn waren sie bestimmt von instinktiven Gefühlen: »Unser Wandertrieb und Vagabundentum ist zu einem großen Teil Liebe, Erotik. Die Reiseromantik ist zur Hälfte nichts anderes als Erwartung des Abenteuers ...«, hinterließ er uns als spontane Glücksformel. Sie taugt auch noch in Zeiten, in denen Wellness und religiöser Fitnesswahn das einzig wahre Wohlsein vorgaukeln wollen.
Spaziergänge auf Hesses Pfaden lassen einen immer wieder eintauchen in sein literarisches Werk: Blutbuchen und Eiben am Wegesrand bekommen vertraute Gesichter. Kein Wunder, verfasste er doch in Montagnola »Klingsors letzter Sommer«, »Siddharta«, »Narziß und Goldmund« und »Das Glasperlenspiel«, für das er den Nobelpreis bekam.
Wir sind unterwegs mit Lucia Umiker, die uns zu den mit Zitat-Tafeln versehenen, wichtigsten Stationen seiner Zeit in und um Montagnola herum führt. Hoch über dem Luganer See genießen wir ein phantastisches Panorama vor zerklüfteten Bergriesen: Das spiegelt sich auch in einem Aquarell nieder, das Lucia aus ihrem Köfferchen zieht: »Als Hesse Schreibblockaden hatte, fing er hier zu malen an«, erzählt sie.
Er liebte die Kirchtürme des Tessins mit ihren klangvollen Glockenspielen: »Es lebt sich gut in eurem Schatten, auch für Menschen anderer Gläubigkeiten«, lobte der pietistisch Erzogene 1920 den toleranten Geist der Region. Damit meinte er sicher auch die mittelalterliche Kirche St. Abbondio mit ihrer Zypressenallee, die wir im nahen Gentilino besuchen. Auf dessen Friedhof ruht Hesse, inmitten der von Licht durchfluteten Landschaft der Collina dOro.
Später kommen wir zur Casa Rossa, ein barockes Gebäude, in dem Hesse mehr als 30 Jahre lebte. Thomas Mann, Bertolt Brecht und andere Emigranten der Nazizeit besuchten den literarischen Querdenker, der hier 1931 mit seiner dritten Frau Ninon eingezogen war.
Das Hesse-Museum ist im Turmgebäude des Palazzo Camuzzi in Montagnola untergebracht. Wir stehen dort andächtig vor einer Schreibmaschine, auf der Hesse 35 000 Briefe getippt haben soll. Der in Calw geborene Schwabe ließ keinen Brief unbeantwortet. Nicht nur mit vielen geistigen Größen seiner Zeit korrespondierte er. »Als er 1946 den Nobelpreis erhielt, kam die Post gleich in großen Karren an«, erzählt Lucia.
Faszinierend ist sein Fotoalbum, in dem nebst Ratschlägen an die Jugend, auch russische und persische Dichter zu lesen sind. An seine zweite Frau Ruth Wenger erinnert ein Liebesmärchen mit Zeichnungen.
Auf einem Waldweg erreichen wir dann die Grotto Cavicc, in der Hesse gerne verweilte. In dieser für die Region typischen, in Fels gehauenen Raststätten lagerten Bauern früher Wein und Lebensmittel und feierten fröhliche Feste. Wir genießen ein Glas Landwein, bevor wir zum benachbarten Comer See fahren. Bei einer Dampfschifffahrt haben wir nochmals den Literaten Hesse bildhaft vor Augen: Die von ihm beschriebene »Felsenromantik steil hängender Dörfer« wird hier jedoch von allzu vielen Touristen ihres Charmes beraubt. Da ziehen wir uns lieber wieder zurück ins Hinterland, um lustvoll durch Hesses »lichte Kastanienwälder« zu wandeln.

Hermann-Hesse-Museum, Ra Cürta Torre Camuzzi, Casella postale 214, 6926 Montagnola, Tel.: (0041) 91 993-3770, Fax : -3772, E-Mail: info@hessemontagnola.ch, www.hessemontagnola.ch, täglich geöffnet März bis Oktober, 10-18.30 Uhr, November bis Februar 10-17.30 Uhr
Infos Tessin: Ticino Turismo, Via Lugano 12, CH-6501 Bellinzona, Tel.: (0041) 91 821 53-27, Fax: -31, www.ticino-tourism.ch oder unter der kostenlosen Hotline von Schweiz-Tourismus (00800) 100 200 30
#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal