Im Bregenzerwald wird Warten zum Erlebnis

Die grüne Voralpenlandschaft wird nicht nur durch ihr Bergpanorama geprägt, sondern auch durch visionäre Bushaltestellen

  • Ulrike Wiebrecht
  • Lesedauer: 5 Min.
Architektur-Verwirrung: Bushalstestelle Krumbach-Moos
Architektur-Verwirrung: Bushalstestelle Krumbach-Moos

Ein rechteckiger Kasten aus Glas, innen drei rustikale Holzstühle, wie sie in einer traditionellen Bauernstube stehen könnten: Wer sich hier niederlässt, will in der Regel kein längeres Gespräch führen, sondern auf den gelben Landbus warten, der die Dörfer im Tal verbindet. Von dem chilenischen Architekten Smiljan Radic entworfen, ist der Glaspavillon eines von sieben »Buswartehüsle« in Krumbach, bei denen sich internationale Architekten augenzwinkernd mit Land und Leuten auseinandergesetzt haben.

Während Radic eine Bregenzerwälder Bauernstube zitiert, spielen seine flämischen Kollegen vom Büro De Vylder Taillieu mit einem dreieckigen, weißen Metalldach an der Haltestelle Unterkrumbach Süd auf die schneebeeckten Gipfel der Alpenlandschaft an. Am spektakulärsten ist der Entwurf des Japaners Sou Fujimoto: ein Wald aus dünnen, weißen Stahlstangen. Schutz vor Witterung bietet er nicht. Dafür gehört er zu den am häufigsten fotografierten Objekten der Region und lockt Besucher aus nah und fern.

Anderswo sind die Menschen froh, wenn überhaupt ein Bus im ländlichen Raum fährt. Wie kann sich dann ein Ort mit rund 1000 Einwohnern den Luxus von avantgardistischen Wartehäuschen leisten? »Das war eine Schnapsidee«, gibt Klaus Riedl zu, der als ehemaliger Gemeindesekretär das Projekt »Bus:Stop« begleitet hat. Er kann sich noch genau daran erinnern, dass jemand beim Stammtischbier den Vorschlag aufgebracht hat. Doch welches angesehene Büro hat für so etwas Zeit? Das fragte man sich damals. Immerhin gelang es Dietmar Steiner, dem Direktor des Wiener Architekturzentrums, Kreative aus Belgien, Chile, Dänemark, Japan, Norwegen, Russland und sogar die Pritzker-Preisträger Wang Shu und Lu Wenyu aus China für die Miniaturgebäude zu gewinnen.

Während wir mit dem Pensionär von einer Bushaltestelle zur anderen laufen, können wir feststellen, dass das ganze Dorf eine grundlegende Transformation durchgemacht hat. Es begann mit den Problemen, die viele Dörfer haben. »Uns fehlten bezahlbare Wohnungen, ein Lebensmittelgeschäft, Ärzte und Orte für Begegnungen«, erinnert sich Riedl.

Lange wurde diskutiert, was man machen könnte. Bis es gelang, unter Beteiligung der betroffenen Bürger und Bürgerinnen ein Projekt nach dem anderen zu verwirklichen. Als Erstes wurde 1999 das »Dorfhus« fertiggestellt, in dem Platz für einen Supermarkt, ein Café, eine Bank, einen Friseur und Wohnungen ist. Dazu gesellten sich bald darauf das sanierte Gemeindehaus, ein Mehrgenerationenhaus und eine Wohnanlage als Alternative zu den sonst üblichen, flächenfressenden Einfamilienhäusern. 2013 kam schließlich noch das neue Pfarrhaus dazu, ein lichtdurchfluteter Mehrzweckbau mit Bücherei, Veranstaltungsräumen und einer Wohnung, die anstelle des Pfarrers auch schon mal Geflüchtete beherbergte.

Haltestelle Krumbach-Glatzegg
Haltestelle Krumbach-Glatzegg

Das Besondere daran: Es sind alles keine gesichtslosen Zweckbauten, sondern zeitlose, puristische Gehäuse aus Holz, die an die Tradition der Bregenzerwälder Baukultur anknüpfen, sie aber mit zeitgemäßem Design und Vorgaben der Nachhaltigkeit verbinden. Dafür brauchte es allerdings visionäre Architekten wie Hermann Kaufmann und Bernardo Bader. Und sie haben Krumbach nicht nur diverse Architekturpreise eingebracht, sondern auch bewirkt, dass sich die übrigen Gemeinden in Bregenzerwald ein Beispiel daran nahmen. Wohin wir auch kommen: Überall stehen schnörkellose Bauten aus dem unbehandeltem Holz der Region. Ob es das Frauenmuseum in Hittisau, der Käsekeller von Lingenau, die Wälder-Versicherung in Andelsbuch oder die Tanzlaube in Schwarzenberg ist – jedes Gebäude ist architekturpreisverdächtig.

Wie es sich anfühlt, in so einem Haus zu wohnen, erleben wir in der »Krone«, einem historischen Hotel von Hittisau. 1838 als Gerichtssitz erbaut, wurde es später Gasthof. Viele Besitzer wechselten sich ab, bis 2005 die Ära von Helene und Dietmar Nußbaumer begann. Sie ließen das Haus von Architekten und Handwerkern aus der Region behutsam umgestalten. Mit Möbeln aus unbehandeltem Vollholz und unaufdringlichem Komfort – ein modellhaftes Zimmer der »Krone« ist sogar im »Werkraum« von Peter Zumthor in Andelsbuch zu besichtigen. »Wir stellen uns eine Welt vor, die frei ist von Überflüssigem, damit die Menschen sich und ihre Umwelt wieder bewusster wahrnehmen«, bringt der Wirt das für das ganze Tal typische Understatement auf den Punkt, während er uns Rote-Beete-Carpaccio mit Käseknödeln serviert. Natürlich arbeitet auch die Küche, die von Michelin mit einem grünen Stern gekrönt wurde, mit Produkten von regionalen Gemüsebauern, Fischern und Käseproduzenten – die Website listet minutiös alle Lieferanten auf, ebenso wie jeden Mitarbeiter der 20-köpfigen Kronenfamilie. Natürlich kann man sich hier auch Fahrräder ausleihen. Und wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, bekommt fünf Prozent des Hotelpreises erstattet. Es hat fast schon etwas von Strebertum, wie konsequent sie hier alles richtig machen wollen. Aber es zeigt, dass es geht.

Dabei gibt es viele solche Beispiele im Tal. So ist es für einige regelrecht zum Sport geworden, durch die Orte der saftig grünen Voralpenlandschaft zu streifen und die architektonischen Besonderheiten zu entdecken. Kleine, »Umgang Bregenzerwald« genannte Folder listen die interessanten Objekte in insgesamt zwölf Dörfern auf. Zum Teil weisen auch Infosäulen mit QR-Codes darauf hin. Werden einem die Wege zu lang, kann man zwischendurch in den Landbus steigen. Und auch mal in einem der »Buswartehüsle« verschnaufen!

Die Recherche wurde unterstützt von Bregenzerwald-Tourismus.

Tipps
  • Anreise: Mit dem Zug in knapp sieben Stunden über München nach Bregenz, von da mit dem Landbus (820) weiter nach Krumbach und Hittsau.
  • Unterkunft: Im Hotel »Krone« kostet das Doppelzimmer mit Halbpension für zwei Personen ab 300 Euro www.hotelsone.com/hittisau-hotels-at/hotel-gasthof-krone.html. Günstiger geht es im gut ausgestatteten Ferienhaus Lila in Hittisau, wo die Ferienwohnung ab 110 Euro kostet (https://travelstays.eu/ferienhaus-lila-austria)
  • Baukunst: Ausführliche Infos unter www.bregenzerwald.at/architekturprogramm-im-bregenzerwald
  • Museum: In Hittisau steht außerdem das einzige Frauenmuseum Österreichs in einem ebenfalls sehenswerten Holzbau mit wechselnden, interessanten Ausstellungen: www.frauenmuseum.at

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