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Unter den Talaren

Im Kino: »Spotlight« von Tom McCarthy über die Redaktion, die den kirchlichen Missbrauchsskandal aufdeckte

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Diesen Film werden die großen Medien lieben. Denn während von rechts die absurden »Lügenpresse«-Rufe erschallen und von links die begründete Kritik an Russen-Ressentiment und »US-Hörigkeit« vieler Journalisten nicht verstummen will, wird hier endlich mal wieder eine aufrechte Redaktion positiv porträtiert. Und es geht auch endlich mal wieder um eine Sauerei, an der die großen Medien nicht selber beteiligt waren und die sie auch nicht freundlich vorbereitet und begleitet haben, wie etwa den Wirtschaftsputsch gegen Griechenland oder die westlich befeuerten Kriege und Umstürze in aller Welt. In der wahren Geschichte, die Tom McCarthy in seinem sehenswerten Ensemblefilm »Spotlight« erzählt, wurde statt dessen von einem verschworenen Redaktionsteam ganz klassisch ein Skandal aufgedeckt. Ein Skandal, zu dem noch immer die richtigen Worte fehlen, und der trotz seiner globalen Monstrosität schon wieder weitgehend vergessen ist: der tausendfache Missbrauch von Kindern durch katholische Würdenträger, der zunächst in Boston, dann auf der ganzen Welt zutage trat - und die Vertuschung dieser ihnen lange bekannten Zustände durch die Kirchenführer.

Kein Wunder, dass dieser Film von vielen Kritikern nun in einem Atemzug mit Alan J. Pakulas »All The Presidents Men« über die Aufdeckung des Watergate-Skandals durch die »Washington Post« genannt wird - war dies doch eine weitere jener raren Sternstunden des investigativen Journalismus, an der sich schon mehrere Generationen von nicht-investigativen Journalisten moralisch aufgerichtet haben. Man könnte noch David Finchers Presse-Thriller »Zodiac« als Referenz nennen. Diese Filme haben mit »Spotlight« nicht nur den authentischen Hintergrund und die Zeitungsredaktionen als Schauplätze gemein: Sie nutzen auch ähnliche (eher gemächliche) Erzähltempi, die die geschilderten dramatischen Vorgänge kontrastieren. Sie sind im besten Sinne altmodisch. Und sie kreieren einen großen Sog der Spannung - ohne viele Actionelemente strapazieren zu müssen.

Im Jahr 2001 wird Walter Robinson (Michael Keaton), der Leiter des Investigativteams »Spotlight« der Tageszeitung »Boston Globe«, vom neuen Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) auf die Fälle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche angesetzt, über die schon lange gemunkelt wurde. Doch als Robinson und seine Kollegen Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Matt Carroll (Brian d’Arcy James) und Ben Bradlee Jr. (John Slattery) die ersten Opfer interviewen, decken sie Schicht um Schicht einen viel größeren Skandal auf: Seit Jahrzehnten wurden in der Erzdiözese Boston immer wieder Kinder von Priestern missbraucht - und die Taten von höchsten Würdenträgern gedeckt und vertuscht: Unter den Talaren - die zerbrochene Würde zahlloser Kinder. Kinder aus der Unterschicht - gezielt ausgesucht, weil die aus Schamgefühl nicht aufbegehren und ihre gesellschaftlich benachteiligten Eltern meistens auch nicht. Die Spuren führen direkt zum Kardinal, doch die Reporter stoßen auf eine Mauer des Schweigens.

Der Film ist also auch eine Studie zur mafiösen Struktur einer Großstadt. Und ein Beispiel dafür, dass es oft einen Außenseiter braucht, um in solche Strukturen vorzudringen. Im Falle der katholischen Mafia also einen nicht Golf spielenden, sich nicht für Baseball interessierenden Juden. Einen, der auf die entgeisterte Frage »Du willst die katholische Kirche angreifen?!« mit einem verwunderten »ja, und?« antwortet. Liev Schreiber spielt diesen neuen »Globe«-Chefredakteur Marty Baron als fremdelnden, sturen und brummelnden Überzeugungstäter, an dem sich sogar der gut vernetzte Kardinal irgendwann die Zähne ausbeißt, auch wenn der Christ dem Juden zu Beginn noch einen Katechismus schenkt - ob aus Ignoranz oder als Warnung bleibt unklar.

Der Film ist auch neben Schreiber ein Defilee der großen Schauspieler: Mark Ruffalo als vereinsamter Reporter-Maulwurf in der Rolle seines Lebens, Stanley Tucci als rührender, rühriger, desillusionierter und cholerischer Opferanwalt, Michael Keaton als graue, darum aber nicht weniger gefährliche Eminenz des investigativen Journalismus. Es ist ein Film, der keine Hauptfigur kennt, und gegen den man einwenden könnte, dass viele der nicht wenigen Charaktere zu blass bleiben. Doch das Urteil des »Hollywood Reporter« schießt dann doch meilenweit übers Ziel, wenn er schreibt, der Film werde »von eindimensionalen Figuren bevölkert, die ein lebloses Verbinde-die-Punkte-Drehbuch ohne dramatischen Saft ausagieren«. Denn »Spotlight« wird vom herausragenden Kollektiv getragen, die kombinierte Brillanz von Schreiber, Keaton, Ruffalo und Tucci macht dramaturgische Schwächen fast wieder wett.

Die etwas zu konventionelle Regie erklärt sich mit dem Thema: Kindesmissbrauch ist nicht das Feld, auf dem man cineastische Experimente durchführt. Und immerhin ist die Darstellung der Redaktionsarbeit an der Schwelle zum Internetzeitalter ziemlich glaubwürdig. Und dass der Film versucht, die Ehrenrettung des Medienbetriebs aus der aktuellen, teils wohlbegründeten Bedrängnis durch den Verweis auf eine gute, alte Zeit zu betreiben? Geschenkt - wenn zwar gediegenes, aber makelloses Handwerk geboten wird, und auch noch eine aufregende und wichtige Geschichte erzählt wird.

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