Keine Spielwiese für Kapitalismuskritik

Angelika Gramkow verteidigt 24-Stunden-Kitas als sozialpolitische Errungenschaft. Eine Antwort auf Thomas Gesterkamp (nd vom 20. Februar)

  • Angelika Gramkow
  • Lesedauer: 3 Min.

24-Stunden-Kitas dienen lediglich den Interessen von Betrieben, die in einer grenzenlosen 24-Stunden-Ökonomie rund um die Uhr über ihre Arbeitskräfte verfügen möchten. Sie sind das falsche Signal und schaden in Wahrheit den Interessen der Familien und Kinder. So könnte man das Fazit eines Kommentars von Thomas Gesterkamp zusammenfassen, der vergangene Woche an dieser Stelle zu lesen war.

Dieser Sicht muss ich widersprechen. Widersprechen muss ich erst recht, weil in dem Beitrag ausgerechnet ein Sozialsenator der Linkspartei als Oberbedenkenträger gegen einen CDU-Innenminister als wackeren Verteidiger der Tag-und-Nacht-Kita in Stellung gebracht wird. Dieser ideologisch seitenverkehrt erscheinende Frontverlauf mag journalistisch originell sein. Er zeigt aber auch, dass sich das Thema ganz und gar nicht für eine generelle Kapitalismuskritik eignet. Für die Sozialismuskritik übrigens auch nicht.

In Schwerin wurde in einem beispielhaften Kooperationsmodell zwischen der kommunalen Kita gGmbH und den Helios-Kliniken vor sechs Jahren die bundesweit erste 24-Stunden-Kita eröffnet. Unbestritten ist, dass dieses Angebot ein wichtiger Baustein für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist. Einer von vielen. Wer die Vereinbarkeitsfrage lösen will, kommt an solchen Betreuungsmodellen nicht vorbei. Ärztinnen, Busfahrer, Polizistinnen, Feuerwehrleute, Journalistinnen, Schauspieler - sie alle sind schlecht versorgt mit einer Kita, die spätestens um 17 oder 18 Uhr Feierabend macht. Ohne Angebote mit flexiblen Betreuungszeiten müssen sich diese Eltern privat einen Babysitter organisieren und bezahlen, während Eltern mit regelmäßigen Arbeitszeiten in den Genuss der staatlich subventionierten Regelbetreuung kommen. Ohne flexible Betreuungsangebote würde man ganzen Berufsgruppen den Rechtsanspruch auf einen Krippen- bzw. Kita-Platz praktisch verwehren. Das ist ungerecht und familienfeindlich. Wirtschaftsfeindlich ist es auch. Und schließlich: Wenn gut ausgebildete Fachkräfte sich gezwungen sehen, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, weil sich die Vereinbarkeitsfrage auf individueller Ebene nicht anders lösen lässt, dann reden wir meistens von Frauen, die Mütter werden wollen oder bereits sind.

24-Stunden-Kitas sind eine sozialpolitische Errungenschaft. Fakt ist, dass in unserer Schweriner Einrichtung die Mehrzahl der alleinerziehenden Eltern nur deshalb einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, weil es dieses Betreuungsangebot gibt. Fakt ist ebenfalls, dass sich 50 Prozent der erwerbstätigen Eltern, die ihr erstes Kind in unserer 24-Stunden-Kita untergebracht haben, für ein zweites Kind entscheiden. Die Eltern äußern sich sehr zufrieden über ihr Alltagsleben, weil sie Erwerbs- und Privatleben mit Unterstützung ihrer Arbeitgeber und der Kita in Einklang bringen können und sich in ihrer Rolle wertgeschätzt fühlen. Fakt ist außerdem, dass Eltern durch unser 24-Stunden-Angebot ihre Dienstpläne so abstimmen können, dass ein wirkliches Familienleben unter Beteiligung aller Familienmitglieder überhaupt stattfinden kann.

Keiner hat ein ernsthaftes Interesse daran, 24-Stunden-Kitas zum Regelfall der Kinderbetreuung zu erklären. Und auch wenn diese Einrichtungen so heißen: Niemand gibt dort sein Kind für 24 Stunden ab. Die Kinder sind, wie in der Regeleinrichtung, höchstens zehn Stunden da - nur eben zu anderen Zeiten, wenn die Eltern Spät- und Nachtschicht haben.

In Schwerin hat sich die 24-Stunden-Kita bewährt. Wenn es Unzufriedenheit gibt, dann mit den Elternbeiträgen. Denn die sind trotz betrieblicher und kommunaler Zuschüsse merklich höher als in einer Regel-Kita. Eine generelle Kostenfreiheit für die Kinderbetreuung, die es in Mecklenburg-Vorpommern trotz hoher Haushaltsüberschüsse des Landes noch immer nicht gibt, wäre hier die beste Lösung.

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