Hollande auf der Anklagebank

Offener Brief verurteilt Politik der »linken« Regierung in Frankreich

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Kritik aus den eigenen Reihen am Kurs von Staatschef François Hollande wächst und gewinnt an Schärfe. Es drohe eine »dauerhafte Schwächung Frankreichs und damit der Linken«.

»Was zu viel ist, ist zu viel!« In diesem empörten Ausruf gipfelt ein Offener Brief an Frankreichs Präsident François Hollande und seinen Regierungschef Manuel Valls. Die Bürgermeisterin von Lille, Ex-Ministerin und ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PS), Martine Aubry, machte so vor wenigen Tagen ihrem Unmut zusammen mit weiteren PS-Politikern und namhaften links eingestellten Persönlichkeiten in der Zeitung »Le Monde« Luft.

Unterzeichner sind ein Dutzend Parlamentarier der PS, unter ihnen der Sprecher der linken »Aufrührer« (Frondeurs) Christian Paul, der ehemalige Europaabgeordnete der Grünen Daniel Cohn-Bendit, der Genetiker Axel Kahn, der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Cohen und der Soziologe Michel Wieviorka. »An Gründen für Unzufriedenheit mit der seit 2012 verfolgten Politik hat es nicht gemangelt«, heißt es in dem Text. Der Zorn breiter Kreise der Bevölkerung darüber kam in vier Wahlniederlagen nacheinander zum Ausdruck. »Was sich abzeichnet, ist nicht nur das Scheitern der fünfjährigen Amtszeit, sondern eine dauerhafte Schwächung Frankreichs und damit der Linken, wenn dieser Absturz nicht endlich aufgehalten wird.«

Die links eingestellten Franzosen hätten 2014 mit Befremden die Steuergeschenke an die Unternehmer in Höhe von 41 Milliarden Euro zur Kenntnis genommen, von denen sich der Elysée im Gegenzug eine Million neue Arbeitsplätze versprochen hatte. Doch der Unternehmerverband Medef habe die Regierung »über den Tisch gezogen«. »Was voraussehbar war, ist eingetreten. Nach dem Eingeständnis des Premierministers selbst wurden tatsächlich nur wenige zehntausend Jobs geschaffen.«

Es folgte 2015 im Zuge der Terroranschläge die »unsägliche Debatte« über die Aberkennung der französischen Staatsangehörigkeit für Terroristen mit zwei Pässen. Damit wollte die Regierung der Rechten entgegenkommen und dafür das Grundprinzip der Gleichbehandlung opfern. »Hinzu kam kürzlich die Rede des Premierministers in München, bei der sich nicht nur im Ton vergriffen hat«, wird weiter kritisiert. »Nein, Angela Merkel ist nicht naiv und hat keinen historischen Fehler begangen. Sie rettet im Gegenteil Europas Ehre, indem sie die Schließung der Grenzen ablehnt.«

Das Fass zum Überlaufen bringen jetzt die Pläne der Regierung, das Arbeitsrecht in einem Maße zu demontieren, wie es der rechte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy nie gewagt hätte und wie es der Unternehmerverband Medef sich besser nicht erträumen könnte. Um den Widerstand nicht zuletzt in den Reihen der eigenen Sozialistischen Partei mundtot zu machen, wolle die Regierung diese Pläne im Parlament durchpeitschen, indem sie ihre Verabschiedung einmal mehr mit der Vertrauensfrage verbindet. »Hier geht es um Werte, Gerechtigkeit, soziale Ambitionen, universelle Menschenrechte. Was bleibt von den sozialistischen Idealen, wenn Tag für Tag die Prinzipien und Grundlagen zersetzt werden?«

Die Regierung könne sich nicht mit den aktuellen Schwierigkeiten, der Wirtschaftskrise, dem Terrorismus, dem Klimawandel, den Flüchtlingen oder der Agrarkrise herausreden. »Die Politik, die seit zwei Jahren verfolgt wird, hat nichts mit Reformen zu tun und sie ist alles andere als sozial gerecht«, wird zusammenfassend festgestellt. »Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, brauchen wir echte Reformen, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritt voranbringen. Auf diesen Weg müssen wir zurückfinden. Schlicht gesagt - nach links.«

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