Ein Stück Gerechtigkeit für indigene Frauen

In Guatemala ahndet die Justiz erstmals Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie sexuellen Missbrauch

  • Knut Henkel, Guatemala-Stadt
  • Lesedauer: 5 Min.
Sepur Zarco lautet der Name eines Militärlagers, wo zu Beginn der 1980er Jahre 15 indigene Frauen als Sexsklavinnen dienen mussten. In einem historischen Prozess wurde ihnen recht gegeben.

Die rechte Hand zum Zeichen der Zustimmung nach oben gereckt, saßen die 14 Frauen am vergangenen Freitag im Gerichtssaal auf ihren Plätzen. Richterin Jassmín Barrios hatte gerade das Urteil verkündet und die beiden Angeklagten zu hohen Haftstrafen verurteilt: Heriberto Valdez Asij zu 240 Jahren Zuchthaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie sexuellen Missbrauchs und Oberst Esteelmer Francisco Reyes Girón zu 30 Jahren Haft für Sklaverei und zu 90 Jahren Haft wegen Mordes.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 59-jährige Reyes von 1982 bis 1983 eine Maya-Frau und ihre beiden Töchter als Sklaven gefangen gehalten und sie dann brutal umgebracht habe. Reyes, ein untersetzter Mann, der vor Gericht alle Anschuldigungen abgestritten hatte, war damals der Kommandant des militärischen Außenpostens Sepur Zarco. Der lag im Osten Guatemalas im Verwaltungsbezirk Izabal, nahe der Grenze zum Bezirk Alta Verapaz, wo im Mai 1978 das erste Massaker der Militärs an der indigenen Bevölkerung stattfand.

Während sich Reyes von dem bekannten konservativen Anwalt Moisés Galindo vertreten ließ und während der Verhandlung sich immer wieder mit dem austauschte, wohnte der 74-jährige Heriberto Valdez Asij dem Verfahren über weite Strecken regungslos bei. Vor dem ehemaligen »comisionado militar«, einem Mittler zwischen zivilen und militärischen Institutionen, hatten die 15 Frauen jedoch massive Angst, denn Valdez hatte bis zu seiner Verhaftung für die Polizei im benachbarten Panzós gearbeitet. »Zudem war er mehrfach mit abfälligen Gesten gegenüber den Frauen aufgefallen«, so Anwältin Paula Barrios.

Barrios hat 2008 die Nichtregierungsorganisation »Frauen verändern die Welt« gegründet und bietet mit ihrem Team vor allem indigenen Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, juristische Hilfe an. Sechs Jahre hat sie gemeinsam mit den Psychologen und Sozialarbeitern von ECAP (Team für Gemeindestudien und psychosoziale Aktionen) und MitarbeiterInnen der guatemaltekischen Frauenunion recherchiert und beraten, um die 15 Frauen von Sepur Zarco prozessfähig zu machen und den Fall vorzubereiten. »2010 haben wir die ersten Aussagen aufgenommen, sie nach und nach überprüft, strukturiert und Gutachter und Experten befragt«, so Barrios. Letztere kamen ab dem 1. Februar, dem Prozessbeginn, zu Wort und sie untermauerten die Aussagen der 15 Frauen.

Mit Magdalena Pop verstarb eines der Opfer bereits vor Prozessbeginn. Umso wichtiger ist das klare Urteil für die 14 anderen wie Demencia Yat. Die zählt mit ihren 59 Jahren noch zu den Jüngeren. »Ich wollte ein deutliches Urteil. Das ist nun eingetreten, aber noch wichtiger ist, dass das, was uns passiert ist, unseren Kindern und Enkeln nicht passieren kann. Wir wollen Prävention und Wiedergutmachung«, sagt die Frau, deren Mann im August 1982 verschwand. Die Militärs hatten ihn und viele andere verschleppt, gefoltert, ermordet und auf einer Farm gleich um die Ecke vom Militärposten Sepur Zarco verscharrt. Erst vor zwei Jahren haben die Experten der Stiftung für forensische Anthropologie seine Überreste gefunden, die dank der DNA-Analyse schließlich zugeordnet werden konnten. Für Demencia Yat, die wie die anderen Frauen nach der Ermordung ihres Mannes faktisch versklavt wurde, brachte das Klarheit.

Für den Prozess war die professionelle Arbeit der Forensiker entscheidend, da sie nachwiesen, wo zumindest einige der Männer der Frauen verscharrt wurden. »Der Grund für ihre Ermordung war ein Landkonflikt. Die Familien hatten nämlich gefordert, Titel für das Land zu erhalten, welches sie seit Urzeiten bebauten«, erklärt Paula Barrios. Die lokalen Großgrundbesitzer, die auch heute noch die Region um die Dörfer Panzós und Sepur Zarco dominieren, hatten jedoch ein Auge auf die Flächen der indigenen Bauern der Maya-Q›eqchi geworfen und gemeinsam mit den Militärs, den paramilitärischen Selbstverteidigungspatrouillen und dem Militärkommissar Heriberto Valdez Asij ließen sie die Männer der 15 klagenden Frauen verschwinden. Valdez, so haben die Richter befunden, war zumindest am gewaltsamen Verschwindenlassen von sieben der 15 Männer beteiligt. Zudem war er mitverantwortlich für die Versklavung der 15 Frauen, die am Militärposten von Sepur Zarco nachfragten, ob ihre Männer dort seien. Statt einer Auskunft wurden sie unter dem Vorwand, nun müssten sie anstelle ihrer Männer Militärdienst leisten, gefangen genommen und als Sexobjekte und Haushaltshilfen missbraucht, so Luz Méndez, Vorsitzende der Frauenunion Guatemalas.

Für Méndez ist der Prozess ein Meilenstein, weil es der erste ist, der sexuelle Gewalt und sexuelle Versklavung im guatemaltekischen Bürgerkrieg thematisiert. »Die sexuelle Gewalt war ein Element des Genozids gegen indigene Ethnien, die erstmals im Jahrhundertprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt zur Sprache kam. Mit diesem Prozess haben wir ein Loch in die Mauer der Straflosigkeit geschlagen«, analysiert die Frauenrechtlerin. Das war am vergangenen Freitagnachmittag auch der Tenor im Gerichtssaal »Sala de Vistas«, wo bereits der Prozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt stattfand, der ebenfalls von Richterin Jassmín Barrios verhandelt wurde.

Jassmín Barrios hat erneut ein Urteil gefällt, welches Strahlkraft für die ganze Region hat. »Es sendet die Botschaft nach Lateinamerika und in die Welt, dass sexuelle Gewalt ein ernsthaftes Verbrechen ist und dass sie bestraft wird, ganz egal, wie viel Zeit vergangen ist«, so die regional verantwortliche Direktorin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas. Für die 14 Frauen, die dem Prozess aus Angst vor ihren Peinigern mit verhüllten Gesichtern verfolgten, geht es jetzt jedoch noch weiter. Zum einen wird heute in Guatemala Stadt über Wiedergutmachung verhandelt, wobei Anwältin Paual Barrios auch eine offizielle Entschuldigung des Staates anstrebt. Dazu gehört auch die Forderung, an den Staat, einst konfisziertes Land zurückzugeben. »Das steht immer noch aus. Wir sind lange stigmatisiert worden und mussten in Armut leben. Es wird Zeit, dass sich das ändert«, sagt Demencia Yat.

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