Eine WM für Mathematiker

Claudia Pechstein verpasst knapp das Mehrkampffinale in Berlin - nun zieht sie vor Gericht

Die Eisschnelllauf-WM in Berlin endete mit Titeln für Tschechien und die Niederlande. Claudia Pechstein war chancenlos gegen die jüngere Konkurrenz. Ein Prozess am Dienstag ist ihr ohnehin wichtiger.

Helge Jasch sah glücklich aus. Die Nachricht, die er am Sonntagnachmittag unter den wartenden Journalisten verbreiten wollte, wäre auch erfreulich gewesen. Seine Vorzeigeathletin Claudia Pechstein sei - seiner Meinung nach - soeben gerade noch ins Finale der Mehrkampf-Weltmeisterschaften der Eisschnellläufer gerutscht. Zu dumm nur, dass ausgerechnet der Autor dieser Zeilen dem Bundestrainer erklären musste, dass er eine Kontrahentin der Berlinerin übersehen hatte. Pechstein hatte es trotz guten 1:59:69 Minuten über 1500 Meter als Gesamt-13. doch nicht geschafft. Auch der siebente Platz am Samstag über 3000 Meter hatte ihr nicht die Qualifikation für die besten Acht beschert. Wäre sie bei jenem Rennen nur 0,2 Sekunden schneller und damit auf Rang sechs gelaufen, hätte es noch gereicht.

Diese Rechnerei mit Hundertstelsekunden, Platzierungen und Qualifikationsnormen auf zwei verschiedenen Listen zeigte mal wieder, wie undurchsichtig der Mehrkampf ist. »Wenn eine Russin mehr als zwei Minuten läuft und dann doch im Finale steht, kann man das doch keinem in der Halle erklären«, kritisierte Pechstein das komplizierte System. Enttäuscht sei sie aber trotzdem nicht über ihre Leistungen, auch wenn sie über ihre Lieblingsstrecke, den 5000 Metern, im Finale gern gezeigt hätte, »dass ich hier dazugehöre«.

Die 44-jährige Berlinerin, die über 3000 Meter bei den Einzelstrecken-Titelkämpfen in Kolomna überraschend auf Platz vier gelaufen war, hatte diese Leistung auf ihrer Heimbahn nicht bestätigen können. Platz sieben war zu wenig bei dieser Mehrkampf-WM, an der sie zunächst gar nicht hatte teilnehmen wollen. »Mein Trainer Peter Mueller hat mich überredet, zu Hause doch mitzulaufen. Das stand gar nicht auf meinem Saisonplan. Und dafür ist es doch ganz gut gelaufen«, sagte Pechstein. »Der Mehrkampf ist nicht meins.«

Nun ja, vor 16 Jahren war sie mal Weltmeisterin im Vierkampf. Lang, lang ist’s her. Damals waren die Tschechin Martina Sablikova und Ireen Wüst aus den Niederlanden, die in Berlin Gold und Silber holten, noch Teenager. Die Dritte, Antoinette de Jong (Niederlande), war vier Jahre alt! Und obwohl Pechstein immer häufiger von ihren jüngeren Kolleginnen überflügelt wird, will sie dennoch 2018 in Pyeongchang noch mal nach einer Olympiamedaille greifen.

Es wäre eine unglaubliche Geschichte - sie wird mit jedem Jahr unglaublicher. Völlig aussichtslos ist das Vorhaben bei Pechsteins Kampfgeist aber nicht. Der lässt sie schließlich auch seit vielen Jahren um juristische Rehabilitation kämpfen. »Am Dienstag ist mein wichtigster Tag«, spielte die fünfmalige Olympiasiegerin den gerade beendeten Wettkampf noch einmal herunter.

Am Dienstag steht in Karlsruhe die Revision ihrer Schadenersatzklage gegen den Weltverband ISU wegen ihrer Dopingsperre von 2009 bis 2011 vor dem Bundesgerichtshof an. Der muss entscheiden, ob eine Sportlerin erstmals am Landesgericht in München und damit vor einem zivilen Richter die Entscheidung eines Sportschiedsgerichts anfechten darf. Auch hier würde Pechstein Grenzen einreißen, die zuvor für unüberwindbar gehalten wurden.

Immerhin ein deutscher Eisschnellläufer konnte schon am Sonntag jubeln. Patrick Beckert hatte ebenfalls lange rechnen müssen und die Eissporthalle im Sportforum nach seinem eher durchwachsenen Lauf über 1500 Meter bereits verlassen, als all die anderen Teammitglieder doch noch mal die Listen verglichen. Nach drei Strecken lag er nur auf Platz 15, also noch schlechter als Pechstein bei den Frauen. Doch am Samstag hatte sich Beckert durch Platz fünf über 5000 Meter eine kleine Hintertür aufgehalten, durch die er nun doch noch schlüpfen durfte.

Das verstehen zwar nur Eisschnelllaufexperten, aber der 25-Jährige war froh, über seine Paradestrecke noch einmal an den Start gehen zu dürfen. Ein sechster Platz über die von vielen gehassten 10 000 Meter spülte ihn im Endklassement sogar noch auf Rang sieben vor - freilich mit riesigem Abstand auf den alten und neuen Weltmeister Sven Kramer (Niederlande). »Ich bin kein Mehrkämpfer, aber eben der beste Deutsche in dieser Disziplin derzeit. Also bin ich hier mitgelaufen. Mein Ziel bleibt aber eine Olympiamedaille 2018«, sagte Beckert. Im Mehrkampf ist die nicht zu holen. Der ist nicht olympisch, und das ist auch gut so.

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