»Wir wussten von den Gaskammern«

Ehemaliger SS-Wachmann sagt im Detmolder Auschwitz-Prozess aus

  • Lesedauer: 3 Min.
Im Prozess gegen den ehemaligen Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning hat ein damaliger SS-Wachmann ausgesagt. Jakob Wendel erklärte, dass die Verbrechen der NS-Zeit nicht verborgen blieben.

Detmold. Den Wachleuten in Auschwitz sind die Vorgänge in diesem nationalsozialistischen Vernichtungslager nach Aussage eines Beteiligten nicht verborgen geblieben. »Wer über zwei Jahre dort war, wusste, was da läuft«, sagte der ehemalige SS-Wachmann Jakob Wendel in dem Detmolder Prozess gegen seinen Kollegen Reinhold Hanning.

Dem 94 Jahre alten Hanning wird Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen vorgeworfen. Er wurde im Stammlager in Auschwitz - rund fünf Kilometer von Birkenau entfernt - ebenfalls als Wachmann der SS eingesetzt. Nach Aussage von Wendel sind sich die beiden damals nicht begegnet.

Der heute 92-jährige Zeuge schilderte, wie er von einem Wachturm in Auschwitz-Birkenau aus beobachtete, dass lange Züge von Menschen in Richtung der Gaskammern geschickt wurden. Er sah auch, dass die Leichen anschließend auf Loren in Richtung Krematorium geschoben wurden. Außerdem beobachtete er, wie Männer Behälter in die Gaskammern warfen. Ob es sich dabei um das Gas Zyklon B gehandelt hat, habe er damals allerdings nicht gewusst, sagte Wendel.

Wendel war nach dem Krieg in Polen bereits für seine Zeit als SS-Wachmann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er wird deshalb nicht mehr juristisch verfolgt. Seine Befragung wird am nächsten Verhandlungstermin am 18. März fortgesetzt.

Hanning war in den Jahren 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbanns Auschwitz im Stammlager eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe bei der sogenannten »Ungarn-Aktion« vor - der gut dokumentierten Deportation und Ermordung von Juden aus Ungarn 1944. Er habe die Tötungsmethoden im KZ gekannt und mit seinem Einsatz als Wachmann zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen.

Hanning schwieg zum Prozessauftakt und ließ von seinen Anwälten nur Angaben zu seiner Person verlesen. Er hatte bereits vor dem Prozess eingeräumt, in Auschwitz eingesetzt gewesen zu sein. Eine Beteiligung an Tötungshandlungen hat er aber bestritten. Die Verteidigung zweifelt den Wert dieser Aussage allerdings an. Staatsanwaltschaft und Polizei hätten ihn 2014 zu Hause überrascht und dann vernommen.

Ein Zeuge schilderte vor Gericht das unmenschliche Leid in Auschwitz. Wachleute hätten durch den Zaun geschossen. Gerade angekommene Gefangene hätten auf dem Weg zu den Gaskammern um Wasser gebettelt, ohne zu wissen, was passiere. »Eine halbe Stunde später waren sie tot«, sagte der Auschwitz-Überlebende Leon Schwarzbaum im Zeugenstand. Der 94-Jährige forderte Hanning in direkter Ansprache auf, zu sagen, was damals passiert sei. Hanning reagierte darauf nicht.

Laut Anklage wurden mehr als drei Viertel der in Zügen angekommenen Menschen direkt zu den Gaskammern getrieben. Hunderte seien später erschossen worden.

Im vergangenen Jahr war bereits ein anderer Wachmann am Landgericht Lüneburg in Niedersachsen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil gegen den Mann, der als »Buchhalter von Auschwitz« bezeichnet wurde, ist noch nicht rechtskräftig. Inzwischen stehen weitere Verfahren gegen frühere SS-Angehörige an, die in Auschwitz im Einsatz waren - etwa in Kiel, Neubrandenburg und Hanau.

In Detmold sind zunächst zwölf Prozesstage bis Ende Mai vorgesehen. Wegen des Gesundheitszustands des 94-jährigen Angeklagten darf das Gericht jeden Tag nur zwei Stunden lang verhandeln. dpa/nd

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