Schlüsselloch-Operationen nicht ohne Risiko

Herzspezialist Prof. Gerd Hasenfuß rät, die Vor- und Nachteile minimal-invasiver Eingriffe genau abzuwägen

  • Lesedauer: 5 Min.

Viele Patienten haben Angst vor einer Operation. Für sie klingt das Wort »minimal-invasiv« verlockend. Sind solche Eingriffe in der Regel wirklich so viel vorteilhafter?

In der Tat ist nicht alles, was machbar ist, auch wünschenswert. Bevor man als Arzt ein minimal-invasives Verfahren empfiehlt, muss man prüfen, ob es mindestens genauso gut ist wie der Standardeingriff. Grundsätzlich gewinnen minimal-invasive Eingriffe ständig an Bedeutung, weil die Bevölkerung immer älter wird. Ältere Menschen haben häufig zwei, drei oder vier Erkrankungen. Mit der Zahl der Erkrankungen nimmt das Operationsrisiko zu. Das heißt, allein aufgrund der demografischen Entwicklung gibt es ein Bestreben, so wenige Eingriffe wie möglich zu machen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Das beste Beispiel ist die katheterbasierte Herzklappenimplantation, genannt TAVI. Eine Verengung der Aortenklappe, die eine neue Klappe erfordert, ist im hohen Alter eine häufige Erkrankung. Bis zu fünf Prozent sind davon betroffen. Ältere Patienten, die auch noch an einer Lungen- oder Nierenerkrankung leiden, haben ein nicht akzeptabel hohes Operationsrisiko. Die Sterblichkeit liegt dann bei bis zu 50 Prozent. Deshalb hat man diese Patienten früher gar nicht behandelt. Ohne Therapie ist nach zwei Jahren aber die Hälfte der Patienten gestorben, und die Lebensqualität in der verbleibenden Lebenszeit ist hochgradig eingeschränkt. Deshalb war es nötig, etwas Neues zu entwickeln. Mit der TAVI ist es gelungen, immer bessere Ergebnisse zu erzielen. Inzwischen ist man so weit, dass man das Verfahren auch bei Patienten mit geringem Operationsrisiko prüft. Aber erst, wenn sich zeigt, dass das minimal-invasive Verfahren hier mindestens so gut abschneidet wie das Standardverfahren, kann man es auch außerhalb von Studien solchen Patienten empfehlen.

Welche Risiken bringt eine TAVI mit sich?

Sie müssen mal überlegen: Sie implantieren da eine Klappe in ein verkalktes Gefäß, wo eine alte Klappe sitzt. Wenn sich da etwas löst, kann es zu Schlaganfällen kommen. Außerdem kann es passieren, dass ein Gefäß einreißt und es zu Blutungen kommt. Diese Dinge kann man heute so gut managen, dass die Komplikationsrate relativ gering ist. Aber natürlich handelt es sich um einen Eingriff, der lebensbedrohliche Komplikationen haben kann. Auf der anderen Seite muss man sehen: Früher waren die Patienten nach der Operation zwei Wochen im Krankenhaus und drei Wochen in der Reha. Heute stehen die Patienten schon einen Tag nach dem Eingriff wieder auf und verlassen zum Teil schon nach drei Tagen die Klinik.

Gerade im Zusammenhang mit der TAVI wurde in jüngster Zeit Kritik laut. So war zu hören, dass Krankenhäuser den Eingriff häufig empfehlen, weil es sich für sie finanziell lohnt. Stimmt das?

Ja, das ist so. Der Grund ist, dass technische Leistungen besser vergütet werden als rein ärztliche Leistungen, etwa Patientengespräche. Da alle Krankenhäuser unter finanziellem Druck stehen, muss man sich über diese Reaktion nicht wundern. Das ist auch nichts Verwerfliches. Wenn eine Klinik genügend Zuweisungen von Patienten hat, die diesen Eingriff tatsächlich brauchen, kann sie sich sagen: Wir spezialisieren uns darauf und machen das besonders gut, so dass Patienten von überall her zu uns kommen. Was aber nicht passieren darf, ist, dass man die Indikation stellt, obwohl sie eigentlich nicht nötig wäre. Das wäre ein Riesenfehler, den man natürlich nicht akzeptieren kann.

Es gibt Patienten, die panische Angst vor Operationen haben. Ist allein das ein Grund, ihnen einen minimal-invasiven Eingriff zu empfehlen?

Nein, absolut nicht. Natürlich kann man diesen Faktor nicht ausblenden, aber er darf nicht entscheidend sein. Man muss den Patienten umfassend über die Vor- und Nachteile des Eingriffs aufklären und ihm dann eine Empfehlung aussprechen. Bei der TAVI ist es so, dass jede Empfehlung interdisziplinär durch ein Herzteam gestellt wird.

Was raten Sie einem Patienten, der eine geeignete Klinik für einen solchen Eingriff sucht?

Ich würde mir zunächst anschauen, wie oft ein Krankenhaus diesen Eingriff macht. Dann würde ich mich von dem Arzt beraten lassen, der den Eingriff macht. Und wenn ich mir nicht sicher bin, würde ich mir eine Zweitmeinung einholen.

Welche anderen Eingriffe gibt es, die heute oft minimal-invasiv vorgenommen werden?

Zum Beispiel können Zysten an der Bauchspeicheldrüse heute endoskopisch, also per Schlüssellochchirurgie, entfernt werden. Das waren früher riesengroße Operationen. Auch an der Lunge sind minimal-invasive Eingriffe möglich, so kann man etwa bei einem Lungenemphysem - einer Überblähung der Lunge, die zu chronischer Atemnot führt - Stents setzen. Sie dienen als eine Art Ventil und helfen, die Lunge zu entlasten. Ein anderes Beispiel: Auch Verschlüsse der Beinarterien kann man gut durch eine Katheterbehandlung aufdehnen und Stents als Gefäßstützen implantieren.

Manche Verfahren sind noch recht neu und wenig erprobt. Sehen Sie die Gefahr, dass ein Patient als Versuchskaninchen missbraucht werden könnte?

Wenn er sich in verantwortungsbewussten Händen befindet, sicher nicht. Ein erfahrener Arzt, sozusagen ein Trainer, sollte ein Verfahren mit einem Team so lange üben, bis es den Eingriff eigenverantwortlich durchführen kann. So war das auch bei der TAVI. Und nur so ist das akzeptabel.

Gibt es ein Beispiel für eine Operation, bei der Sie die konventionelle Methode bevorzugen würden?

Natürlich. Kommen wir auf die TAVI zurück: Bei jüngeren Patienten ist die Operation immer noch das Standardverfahren, weil bei ihnen das Operationsrisiko gering ist. Auch viele Eingriffe im Bauchraum, zum Beispiel bei unklaren Entzündungen, werden vielleicht besser operativ gemacht. Da muss man nämlich breitflächig untersuchen, wo der Entzündungsherd liegen kann.

Kann man also sagen, dass man als Operateur bei einem normalen Schnitt mehr sehen kann und einen besseren Zugang hat?

Das ist die Meinung, die man landläufig hat, und sie stimmt auch irgendwo. Dank des technischen Fortschritts sind die Geräte inzwischen aber so gut, dass vieles möglich ist. Mit den Instrumenten kann man zum Beispiel um die Ecke schneiden und nähen.

Werden sich die minimal-invasiven Verfahren in diesem rasanten Tempo weiterentwickeln?

Sagen wir so: Die Minimalisierung der Eingriffe wird sich weiterentwickeln, auch deshalb, weil älteren Menschen solche Verfahren dringend angeraten sind. Wir gehen davon aus, dass wir eines Tages auch Herzunterstützungspumpen, die bei Herzschwäche eingesetzt werden, mit dem Katheter implantieren können.

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