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Sexprotz oder Werkzeugmacher?

Schimpansen und Bonobos sind die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. Und das erkennt man nicht nur äußerlich

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Der US-Psychologe Robert Yerkes war einer der ersten, die in den 1920er Jahren das Sozialverhalten von Schimpansen erforschten. Zwar hegte er prinzipiell keine Zweifel, dass auch Menschenaffen Mitgefühl zeigen können. Was er dann aber beobachtete, verblüffte selbst ihn: Der Schimpanse Prince Chim umsorgte seine schwerkranke Artgenossin Panzee in einer Weise, die fast menschlich anmutete. »Würde ich schildern, wie altruistisch und mitfühlend sich Prince Chim gegenüber Panzee verhielt, geriete ich in den Verdacht, einen Schimpansen zu idealisieren«, notierte Yerkes, der eines freilich nicht wissen konnte: Prince Chim war gar kein Schimpanse, sondern ein Bonobo. Bonobos sind mit Schimpansen (Pan troglodytes) zwar eng verwandt, bilden aber dennoch eine eigene Spezies (Pan paniscus).

Als solche beschrieben wurde diese erstmals 1933. Bis dahin suchten Primatenforscher vor allem bei Schimpansen nach menschenähnlichen Verhaltensweisen. Das schien durchaus erfolgversprechend, denn Schimpansen leben in männerdominierten Gruppen, sind ständig in Rangkämpfe verstrickt und führen sogar regelrechte Kriege gegeneinander. Anders die Bonobos, die sich schon rein äußerlich von den Schimpansen unterscheiden. Sie sind graziler, haben einen relativ kleinen Kopf, ein flaches Gesicht und eine hohe Stirn. Während Schimpansen so aussehen, als gingen sie täglich ins Fitnessstudio, wirken Bonobos intellektueller, witzelt der niederländische Zoologe Frans de Waal, der am Yerkes National Primate Research Center in Atlanta (USA) forscht. Damit nicht genug, geben bei den Bonobos die Weibchen den Ton an - eine Ausnahme unter Säugetieren. Auch körperliche Gewalt kommt in Bonobogruppen eher selten vor. Wenn überhaupt, dann traktieren sich die Tiere mit Fußtritten, Schimpansen hingegen schlagen kräftig aufeinander ein oder beißen zu.

Die auffälligsten Unterschiede zwischen beiden Arten zeigen sich jedoch im Sexualverhalten. Bei Schimpansen habe Sex fast immer etwas mit Dominanz und Unterwerfung zu tun, sagt de Waal, bei Bonobos diene er dem sozialen Spannungsabbau und verlaufe viel harmonischer. Und abwechslungsreicher: Bonobos kopulieren oft von Angesicht zu Angesicht, sie praktizieren Oralverkehr und pflegen gleichgeschlechtliche Kontakte. Verbreitet ist auch der Tausch Sex gegen Nahrung. Ist ein Männchen in den Besitz eines Leckerbissens gelangt, lädt ihn das Weibchen zur Kopulation ein, was wiederum das Männchen so gütlich stimmt, dass es danach seine Nahrung teilt. Bei Schimpansen sind die Männchen zwar auch anfällig für sexuelle Reize, lassen sich dadurch in ihrem Verhalten aber nicht so leicht manipulieren.

Wie Studien nahelegen, sind Bonobos in ihren kognitiven Fähigkeiten zum Teil mit zwei- bis dreijährigen Kindern vergleichbar. Trainierte Bonobos schaffen es auch, einfache Werkzeuge herzustellen und anzuwenden. In freier Wildbahn allerdings lassen die Tiere diese Fähigkeit weitgehend ungenutzt. Anders die Schimpansen, die Werkzeuge häufig einsetzen, wenngleich das in einzelnen Populationen auf jeweils unterschiedliche »kulturelle« Weise geschieht. Für manche Forscher ist der Schimpanse daher das beste lebende Modell, um den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Homininen zu rekonstruieren.

Zu bedenken bleibt jedoch, dass Schimpansen und Bonobos im Laufe der Evolution selbst neue Anpassungen entwickelt haben. Als Beispiel sei das Paarungssystem genannt. Davon gibt es unter Menschenaffen im Wesentlichen drei Formen. Gibbons etwa verhalten sich monogam. Dagegen praktizieren Gorillas ein polygynes Paarungsverhalten. Das heißt, sie leben in Gruppen, in denen nur ein dominantes Männchen Zugang zu den Weibchen hat. Schimpansen und Bonobos sind in der Gruppe gewöhnlich stark promiskuitiv. Ein Weibchen treibt es hier mit mehreren Männchen und umgekehrt.

Nach heutiger Kenntnis lässt sich vor allem anhand zweier Merkmale ableiten, ob Primaten ein eher mono- oder polygames Paarungsverhalten pflegen: die Größe der Hoden und die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Sexualdimorphismus). Ein Gorillamännchen beispielsweise ist dank seiner muskulösen Erscheinung fähig, einen ganzen Harem von Weibchen gegen andere Männchen zu verteidigen. Dennoch hat er nur kleine Hoden und produziert relativ wenige Spermien. Der Grund: Sobald ein Gorilla einen Harem besitzt, muss er mit anderen Männchen nicht um die Befruchtung der Weibchen konkurrieren. Diese wiegen zudem nur 70 bis 90 Kilogramm, während es männliche Tiere bis auf 200 Kilo bringen. »Wenn bei einer Art die Männchen im Vergleich zu den Weibchen überproportional groß sind«, sagt der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer, »herrschen die Männchen oft über eine ganze Gruppe von Weibchen und sind polygam.« Bei monogamen Arten gebe es indes kaum Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern.

Etwas anders liegen die Verhältnisse bei den Schimpansen. Hier paart sich ein Weibchen häufig mit vier bis fünf Männchen hintereinander. Deshalb können sich im weiblichen Genitaltrakt die Spermien mehrerer Männchen ansammeln und um die Befruchtung der Eizelle wetteifern. Es ist daher für einen Schimpansen vorteilhaft, möglichst viele Spermien zu produzieren, was wiederum die extrem großen Hoden unserer nächsten lebenden Verwandten erklärt. Oder anders herum formuliert: Sofern ein Primat große Hoden besitzt, kann man davon ausgehen, dass er in Spermienkonkurrenz zu anderen Männchen steht und beide Geschlechter ein recht freizügiges Sexualverhalten pflegen.

Menschliche Hoden haben eine mittlere Größe. Sie sind 1,5-mal größer als die von Gorillas, aber deutlich kleiner als die von Schimpansen. Denn echte Spermienkonkurrenz findet beim Homo sapiens nicht statt, zumal auch der Genitaltrakt der Frau relativ kurz und somit keine gute »Rennbahn« ist, »um Samenzellen nach Geschwindigkeit oder Ausdauer zu selektieren«, schreibt Meyer in seinem lesenswerten Buch »Adams Apfel und Evas Erbe« (Bertelsmann, 410 S., 19,99 €). Offenkundig trat Spermienkonkurrenz bei Schimpansen und Bonobos erst dann auf, als sich die Evolution beider Arten von jener der Gattung Homo abgekoppelt hatte.

Der Sexualdimorphismus ist beim Menschen ebenfalls nicht stark ausgeprägt: Männer sind im Schnitt zwölf Zentimeter bzw. sechs bis neun Prozent größer als Frauen. Das alles deutet darauf hin, dass unsere Vorfahren weder strikt monogam waren noch besonders promiskuitiv lebten. Und daran hat sich bis heute im Kern wenig geändert. Selbst in den westlichen Ländern, in denen die Monogamie kultureller Standard ist, stammen laut DNA-Analysen rund zehn Prozent der Kinder nicht von dem Mann, der offiziell als ihr Vater gilt.

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