Helfen, um überflüssig zu werden

Sind Care Arbeit und emanzipatorischer Support ein Widerspruch?

  • Refugee Support Calais
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir wollen supporten, weil wir uns eigentlich überflüssig machen wollten. Wir haben Technik zur Vernetzung mitgebracht, Rechner vorbereitet und Zeit freigeschaufelt, um damit Möglichkeiten zu schaffen, dass den Menschen auf der Flucht der Weg in ein ähnlich 'selbstbestimmtes' Leben erleichtert wird, wie wir es auch haben. Heute haben wir uns nicht überflüssig gemacht. Wir haben zentnerweise Klamotten sortiert, hunderte Kleidungs-Päckchen ausgegeben, Lkws ausgeräumt, Kissen und Decken gestapelt. All diese Arbeit und Logistik wird ohne die Geflüchteten selbst verrichtet.

Unser Tagesprogramm startete mit dem frühmorgendlichen Treffen der Volunteers. Nicht nur die Frühsporteinlage sondern insbesondere die Vorstellung der »vom Camp beschlossenen« Kleiderordnung für Frauen bzw. weibliche Freiwillige sorgten für erste Gefühle der Befremdlichkeit unsererseits. Der spätere Praxistest lässt jedoch erahnen, dass die Menschen, die im Camp leben, wichtigere Probleme haben als die Länge des Oberteils. Bei der folgenden Aufgabenverteilung wurde nun explizit nach Menschen mit Tischler-, Klempner- und Schweißerkenntnisen sowie Personen mit Auto gefragt. Alle anderen, die teils über Monate, teils einige Tage oder sogar nur Stunden mithelfen wollen, sortieren und verteilen die zahlreichen Sachspenden, kochen täglich 2500 Mahlzeiten, bauen Infrastuktur oder organisieren im Hintergrund.

Geschafft von der körperlichen Anstrengung aber befeuert durch die konkreten Erfahrungen, die wir alle in den unterschiedlichen Aufgabenbereichen und an verschiedenen Orten gemacht haben, versuchten wir unsere Eindrücke und Gedanken in teils hitzigen Diskussionen zu reflektieren:
(Wie) kann sich der eigene emanzipatorische Anspruch in einem Umfeld wie dem Dschungel von Calais verwirklichen? Ist es nicht am Ende eben doch nur die Abmilderung der Katastrophe, welche wir hier betreiben, ohne jede Hoffnung darauf, mehr als das notdürftige Überleben von Menschen mitzuorganisieren, die Strukturbedingungen der Entrechtung und Dehumanisierung ausgesetzt sind? Was unterscheidet uns im Moment denn eigentlich noch von anderen Hilfsorganisationen, abgesehen vom Grad der Professionalität, wenn wir nicht wenigstens im größten Elend noch auf Momente der Solidarität und Selbstbehauptung zielen? Und wie verträgt sich ein solcher Anspruch mit der Tatsache, dass wir das Verhältnis zwischen Volunteers und CampbewohnerInnen nicht als ein Miteinander auf Augenhöhe empfanden.

Kurz: Wir haben Spenden sortiert und Spendentüten ausgeben. Wir waren in der Rolle zu entscheiden, welche Hilfsgüter sinnvoll sind und welche es nicht sind - für die Menschen in einem Camp, das kilometerweit vom Spendenlager entfernt ist. Wir haben eben das getan, was als Aufgabe an uns herangetragen wurde, wir haben funktioniert. Und können wir damit trotzdem noch an unser Leitbild eines sich überflüssig machenden Support anknüpfen? Wie wäre denn eine solche Praxis denkbar, machbar, und was ist mit den Strukturbedingungen? Mal schauen, was morgen passiert.

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